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Was Parteien gegen Politikverdrossenheit tun können

Von Johanna Tapper - Auch wenn mehr Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren, verschwindet die Politikverdrossenheit nicht, sagt unsere junge Autorin Johanna Tapper. Mit einigen Schritten könnten Parteien aber wieder mehr Anerkennung gewinnen.


Aktuelle Herausforderungen wie die Klimapolitik spalten die Meinungen in der Gesellschaft, dadurch wird der ewige Kampf gegen die Politikverdrossenheit wieder an die Oberfläche getrieben. Es ist Zeit, dass Parteien in ihrer Darstellung wieder bürgernäher und transparenter werden, damit große Teile der Bevölkerung nicht auf der Strecke bleiben.


Entgegen der Prophezeiung vieler Stimmen angesichts neuer Demonstrationswellen verschwindet die Politikverdrossenheit nicht. Vielleicht erleben wir wieder neues Interesse an gesellschaftlichen Themen und einen Willen zum Engagement in einem bestimmten Teil der Bevölkerung, doch dabei wird leicht übersehen, dass die Ablehnung von Politikern und altbewährten Parteien durch diese Entwicklung nicht unbedingt ausgeschlossen wird. In der Realität zeigt sich dieser Trend klar an dem Ergebnis der Europawahl: am Stimmenverlust der großen Volksparteien, der hohen Zahl an Nichtwählern und der Zunahme der Stimmen für die AfD. Es kristallisiert sich ein Bruch in der Bevölkerung zwischen Grünenwählern und Konservativdenkenden heraus, gleichzeitig öffnen komplexe Herausforderungen wie der Klimawandel das Tor für Rechtspopulismus. Parteien müssen es in Zukunft schaffen, sich glaubwürdig zu positionieren, dabei polarisierte Gruppen wieder zu vereinen und besonders Wähler populistischer Parteien zurückzugewinnen.


Wie können wir also gerade jetzt die Politikverdrossenheit angehen, ein Problem, das schon als ewige Begleiterscheinung einer gut funktionierenden Politik toleriert ist? Unsere repräsentative Demokratie hat den Vorteil, dass Wähler die Zusammenhänge von komplexen Problemen nicht vollständig durchblicken müssen und es trotzdem zu einer differenzierten Entscheidung kommen kann. Die Gefahr besteht darin, dass Wähler bei einem komplett parallel ablaufenden Debattenprozess die endgültige Entscheidung nur zu spüren bekommen, aber wenig Möglichkeit haben, deren Hintergründe nachzuvollziehen. Trotz Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit der Parteien entsteht hier eine Kommunikationslücke zwischen Bürgern und Politikern.


An dieser Stelle lässt sich eine kurze Analyse der Strategie populistischer Parteien einschieben: Sie beeinflussen ihre Wähler mit angeblicher Authentizität und Einfachheit. Indem beispielsweise die AfD simple Antworten auf komplexe Fragen gibt, präsentiert sie ihre Abgeordneten als Volksversteher, als die einzigen, die wirklich gewillt sind, Pläne umzusetzen. Es gibt inzwischen so viele Beispiele an erfolgreichen, populistischen Parteien, dass es unfassbar ist, wie wenig die Politik daraus gelernt hat: Es fehlen nicht nur überzeugende Inhalte zu aktuellen Thematiken und die ausreichende Darstellung in sozialen Medien, es fehlen Bemühungen und Ideen, die notwendigen „komplexen Antworten“ für die gesamte Bevölkerung verständlich zu machen.


Es stellt sich mir die Frage, ob Parteien sich nicht einfach wieder mehr auf politische Werte besinnen müssen: Kompromissbereitschaft, Transparenz und Fehlerzugeständnisse als Wahlversprechen klingen nach Selbstmord im Wahlkampf, wären aber mutige Schritte, die für Anerkennung im Volk sorgen würden. Wenigstens würde es eine Veränderung zur üblichen politischen Praxis darstellen, welche oft darin zu bestehen scheint, sich zu Beginn der Auseinandersetzung auf eine Position festzulegen und darauf aufbauend den politischen Gegner wortgewandt zu denunzieren.


Viel zu lange kam beispielsweise in der aktuellen Diskussion um Emmisionshandel und CO2-Steuer beim Bürger im äußersten Falle nur an, dass ihn die eine Alternative Geld kostet und die andere nicht. Es ist eine der Streitfragen, bei denen eine offene Debatte gemieden wurde, aus Angst davor, im Umgang mit einem brisanten Thema Schwäche zu zeigen. Genau diese Schwäche, die man auch Offenheit nennen könnte, wäre aber oft hilfreich. Warum genau Parteien zu der ein oder anderen Maßnahme tendieren, dass Emissionshandel über Umwege auch den Kunden belastet, und dass die Einnahmen einer CO2-Steuer vom Staat für neue Sozialzahlungen genutzt werden können, das fanden lange nur diejenigen heraus, die sich morgens mit einer Zeitung an den Frühstückstisch und abends zu Fernsehdiskussionen aufs Sofa setzen. Gerade Politiker von „Volksparteien“ dürfen aber nicht davon ausgehen, dass sich alle Bürger in diesem Maße selbst politisch bilden. Demnach müssten die Bemühungen viel stärker sein, wirklich alle Gesellschaftsgruppen zu erreichen, sei es durch mehr Öffentlichkeitsveranstaltungen, besseren Politikunterricht an Schulen oder verständlichere und besser zugängliche Informationen. Und man könnte noch viel weiter an der Basis ansetzen: Warum nicht die Gründe für Steuererhöhungen, die Vor- und Nachteile von Handelsabkommen, allgemein alle parteiinternen Entscheidungsfindungen transparenter machen?


Eine stärkere politische Teilhabe des Volkes durch „pädagogische“ Maßnahmen voranzutreiben, ist schwierig, weil unsere Demokratie auf dem Menschenbild des aufgeklärten, eigenverantwortlichen Bürgers aufbaut. Leicht kann der Eindruck erweckt werden, dass die Regierung dem Einzelnen diese Eigenverantwortlichkeit nicht mehr zutraut. Hinter meinen Ideen steht jedoch nicht der Gedanke, dass Bürger mehr Belehrung erfahren, sondern dass sich Parteien stärker für Entscheidungen rechtfertigen und dass auf diesem Wege mehr Raum für Verständnis und Diskussion entsteht. Es muss immer Zeit sein, politische Traditionen sowie Umgangsformen genauso wie Inhalte komplett zu hinterfragen. Mit Blick auf die aktuelle Debattenkultur wirken solche Forderungen haarsträubend und naiv, doch tatsächlich scheint noch kein anderes wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit und Populismus gefunden worden zu sein, daher gelten derlei Erwägungen vielleicht doch als angebracht.

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