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Retten, was noch geht - Rebellion durch zivilen Ungehorsam

Die letzten Wochen ist viel über die "Letzte Generationen" und ihre Aktionen geredet und gestritten worden - eher weniger wurde mit den Vertreter*innen gesprochen. Die LFZ hat das nun einfach mal gemacht.

In den letzten Monaten erregt ziviler Ungehorsam von KlimaaktivistInnen viel Aufsehen, wie zum Beispiel bei Aktionen der AktivistInnengruppe „Letzte Generation“. Sie werden immer radikaler: kleben sich an Straßen fest oder bewerfen Gemälde mit Kartoffelbrei. Erst kürzlich störten TierrechtsaktivistInnen die größte Nutztiermesse Europas, die in Hannover stattfand. Da diese die Massentierhaltung grundlegend unterstütze, kletterten sie auf ein Dach, um Banner aufzuhängen, beschmierten sich in der Messe mit Kunstblut und klebten sich sogar an einem RednerInnenpult fest, um einen Vortrag zu stören.


Wie ist es, für seine Grundsätze und Überzeugungen in einem solchen Ausmaß zu kämpfen?

Der sogenannte zivile Ungehorsam nimmt zu. Dies ist der bewusste Verstoß gegen rechtliche Vorschriften, um auf ein aktuelles Unrecht aufmerksam zu machen. Dafür nehmen die AktivistInnen auch rechtliche Folgen in Kauf. Doch was sind die Gründe für diese, von manchen, als verrückt empfundenen Aktionen? Wie ist es, selber so radikal zu sein und für seine Grundsätze und Überzeugungen in einem solchen Ausmaß zu kämpfen?


Darüber rede ich, Redakteurin bei der Schülerzeitung LFZ, mit TierrechtsaktivistIn Kim in einem Interview. Der Name ist ein Pseudonym. Die Redaktion hat die Echtheit und Glaubwürdigkeit der Person aber verifiziert.


Es geht um unsere Zukunft und unsere gesamte Existenz

Sophie: Warum ist diese Radikalität nötig und warum reichen euch legale Aktionen nicht?

Kim: Die Fridays for Future Bewegung hat schon eine extreme Massenbewegung hervorgerufen und trotzdem hat sich in der Politik nicht viel verändert. Die 1,5 Grad-Grenze haben wir sowieso schon lange verfehlt und jetzt geht es darum, zu retten, was noch geht und um unsere Zukunft und Existenzen. Deshalb denke ich, dass ziviler Ungehorsam notwendig ist und dass das reine Versammlungsrecht mit Demonstrationen und Mahnwachen einfach nicht mehr reicht, um etwas zu verändern. Deswegen ist eine krassere Radikalisierung, aber auch Politisierung erforderlich.


Sophie: Inwiefern erhofft ihr euch Zuspruch/ Verständnis durch die Aktionen? Wirken sie nicht eher kontraproduktiv?

Kim: Wir treffen schon auf viel Unverständnis und wenig Zuspruch, aber es geht eher darum, Themen präsent zu machen. Und je aufwändiger, medienpräsenter und „krasser“ eine Aktion ist, desto mehr wird auch hingeschaut und bleibt im Gedächtnis. Langfristig bewirkt das schon etwas in den Menschen, wenn wir sie daran hindern, Themen zu vergessen oder zu verdrängen. Außerdem geht es auch viel um Solidarität mit zum Beispiel Staaten, die schon direkt von der Klimakrise betroffen sind. Es geht also weniger um Zuspruch oder Ablehnung, sondern eher darum, dass das, was wir AktivistInnen tun, richtig und notwendig ist.


Sophie: Was für Konsequenzen hat ziviler Ungehorsam?

Kim: Das ist je nach Bundesland und was genau gemacht wird unterschiedlich. Wenn wir von friedlichem zivilem Ungehorsam sprechen, sind vieles Ordnungswidrigkeiten oder im Fall der „Letzten Generation“ Straftaten, die begangen werden, wie zum Beispiel Straßenblockaden oder Aufhängen von Bannern. Das kann Strafzettel oder Geldstrafen zur Folge haben. Die Kosten werden aber in der Regel von verschiedenen Organisationen wie der „Roten Hilfe“ übernommen.


Sophie: Was für Erfahrungen hast du selbst mit den Konsequenzen illegaler Aktionen?

Kim: Für mich ist das alles bisher ziemlich glimpflich verlaufen. Ich hatte schon mit Ordnungswidrigkeiten und einmal mit einem Hausfriedensbruch zu tun. Der Prozess wurde aber wieder eingestellt. Ich kenne aber auch viele AktivistInnen, die bisher drei bis vier Verfahren laufen haben und bei denen die Konsequenzen noch ausstehen.


Sophie: Wodurch bist du so radikal geworden? Durch den Kontakt mit radikalen Menschen oder der Auseinandersetzung mit kritischen Themen?

Kim: Ich glaube, ich habe mich schon in meinem Kinderzimmer selbst politisiert. Ich bin in einer sozial schwachen Familie aufgewachsen und soziale Ungerechtigkeit war etwas, was ich sehr früh erfahren habe. Aber auch der Kontakt mit Schlachthausvideos hat mich sehr geprägt. Wichtig für mich war zu sehen, dass ich Ungerechtigkeit an sich falsch finde und Nichtstun für mich keine Option war und ist. Was zu so einer Radikalisierung beiträgt ist vor allem, dass in der Politik viel zu wenig zu langsam passiert. Dadurch habe ich gemerkt, dass es für mich einfach nicht reicht, zu demonstrieren und zu wissen, dass es morgen genauso weitergeht und dass der Protest möglicherweise nicht einmal gesehen wird.

Es braucht einen radikalen Wandel - jetzt!


Sophie: Wie reagiert die Polizei auf zivilen Ungehorsam?

Kim: Das ist je nach Stadt unterschiedlich, in Oldenburg zum Beispiel sind die Reaktionen der Polizei vergleichsweise milde. Sie nehmen die Aktionen und AktivistInnen zwar nicht wirklich ernst und machen sich über sie lustig, erfüllen aber ihre Pflicht und lassen die Aktionen relativ lange laufen. In Städten wie Hamburg oder Berlin sieht das schon anders aus. Dort sind die Aufenthalte auf der Polizeiwache und die Behandlung durch die Polizei oft ziemlich traumatisierend.


Sophie: Kann ziviler Ungehorsam auf lange Sicht viel verändern?

Kim: Ich würde sagen, dass uns die Geschichte lehrt, dass ziviler Ungehorsam als gewähltes Mittel deutlich mehr verändert als ein Massenprotest. Es erfordert ja manchmal auch eine Rebellion und fast schon ein revolutionäres Verhalten, zumindest muss die Regierung Angst vor eben diesem haben und deshalb den Bedürfnissen der Bürger/Innen nachgeben. Auch die Fridays for Future Bewegung hat schon viel bewegt und es ist auch eine Form von zivilem Ungehorsam freitags, statt in die Schule zu Demonstrationen zu gehen. Es gibt viele konkrete historische Beispiele, die besagen, dass ziviler Ungehorsam zum Beispiel dazu führen kann, dass eine Regierung abgewählt wird oder andere politische Veränderungen hervorgerufen werden. Und für einen radikalen politischen Wandel, den es jetzt benötigt um noch irgendwie dieser menschengemachten Klimakrise gerecht zu werden, braucht es eben das: einen radikalen sofortigen Wandel. Und das wird eben nicht passieren, wenn es keine Unruhe in der Bevölkerung gibt.

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1 Comment


thomas.staecker
Dec 21, 2022

Schlimm genug, dass junge Menschen im 21. Jahrhundert sich irgendwo festkleben müssen, damit ihr Anliegen wahrgenommen wird.

Und es sollte einer demokratisch verfassten Gesellschaft sehr zu denken geben, wenn junge Leute sogar in Kauf nehmen, kriminalisiert zu werden (inklusive Vorbeugehaft), weil sie keine andere Möglichkeit mehr sehen. Von hier zu einer kompletten Abkehr von einer nur noch als a n g e b l i c h demokratisch empfundenen Gesellschaft ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Die Politik sollte deshalb endlich z. B. eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre realisieren und andere Möglichkeiten der Partizipation institutionalisieren: Die engagierten jungen Leute müssen aktiv einbezogen statt ausgegrenzt und kriminalisiert werden. Bedauerlicherweise immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Danke für das aufschlussreiche…

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