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Von polnischen Bienchen und Blümchen

Von Nico Knoppik -„Let's talk about Sex!“ – und das auch noch im Unterricht! Oft ungewöhnlich, bisweilen peinlich und dennoch wichtig. Damit könnte in Polen jedoch bald Schluss sein.

Eine Insel des katholischen Glaubens in einem sonst blasphemischen, gottlosen Europa – so oder so ähnlich lautet das Selbstverständnis der polnischen Regierungspartei. Und sie punktet mit einem dementsprechenden erzkatholisch, nationalistischen Kurs in einem Staat, in dem sich immerhin knapp 85% der Menschen zur katholischen Kirche bekennen. Erschütternd auf die Zivilgesellschaft wirkte dabei die Erkenntnis, dass es der Klerus war, der über Jahre hinweg Minderjährige missbraucht, genötigt hat, wie der im Mai 2019 veröffentlichte Dokumentarfilm „Tylko nie mów nikomu” (dt. „Sag es niemandem”) zeigt.


Die politische Brisanz dieses Films wird allein an den 22 Millionen Youtube-Klicks deutlich, Polen selber hat etwas mehr als 38 Millionen Menschen. Umso bizarrer wirkt dann das neu aufgekommene Vorhaben der PiS-Partei (vielleicht als Antwort auf den Skandal), einen Vorstoß zur Änderung des Strafgesetzbuches eines Bündnisses von Abtreibungsgegnern zu unterstützen. In dieser Überarbeitung soll festgeschrieben werden, dass jeglicher Akt, der den Geschlechtsverkehr zwischen Minderjährigen fördert, unter Strafe steht.


Der Punkt dabei ist: Auch der Sexualkundeunterricht an Schulen soll davon betroffen sein! Dieses Vorgehen der PiS-Partei steht damit ganz im Sinne der „Kaczismus-Doktrin”, also dem Mix aus nationalistischem, diskriminierendem Gedankengut mit einem Hauch Katholizismus unter der Leitung Jarosław Kaczyńskis. Der offene Umgang mit Sexualität und vor allem eine Aufklärung hinsichtlich der Gefahren, die beim ungeschützten Geschlechtsverkehr entstehen, sind Errungenschaften der westlichen Welt, die historisch gesehen noch relativ neu sind.


Doch diese Errungenschaft über den Haufen zu werfen wäre fatal. Schon heute wird ein großer Teil der polnischen Bevölkerung maßgeblich von einer Instanz aufgeklärt, der katholischen Kirche, die alles, was über die traditionelle Familie hinausgeht, verteufelt, die Höllenquallen als die logische Folgerung von außerehelichem Sex sieht. Am Beispiel der USA wird deutlich, was für Konsequenzen das Tabuisieren von Sexualität haben kann. Studien der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) aus dem Jahr 2010 ergaben, dass in wenigen Industrieländern eine so hohe Quote an schwangeren Minderjährigen herrscht wie in den USA. Umso erfreulicher ist, dass junge Polinnen und junge Polen auf die Straße gehen, um gegen diesen Gesetzesentwurf zu kämpfen.


Sie haben erkannt, dass zu sexueller Aufklärung mehr gehört als nur die bloße Belehrung über Sex und somit auch die Folgen eines solchen Verbots sehr viel weitreichender sind. Es geht um Selbstbestimmung. Und diese Gegenbewegung hat bereits ihre Ikone, ihre „Greta“ gefunden. Das polnische Supermodel Anja Rubik steht mitten in den Mengen an Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Warschau und hält Reden, in denen sie die Jugend animiert, für ihr Recht auf Bildung einzustehen. Als Leitlinie der jungen Aktivisten gilt das von Rubik mit Hilfe vieler Experten verfasste Buch „#sexedpl“, in dem sie über die Bedeutung von sexueller Aufklärung für die Jugend schreibt.


Eine ausführliche Kenntnis über den eigenen Körper ist die Voraussetzung für die Ausbildung einer individuellen Selbstwahrnehmung. Erst diese ermöglicht es, Grenzen zu setzen und sich somit bei sexuellen Übergriffen, bei Missbrauch, sei es durch Geistliche oder andere Personen, zur Wehr zu setzen. Vor allem ist jedoch herauszustellen, dass ein Ruf nach der Verbannung von Sexualität aus der Öffentlichkeit immer auch der Ruf nach der Verbannung der einem fremd erscheinenden Sexualität ist. Wer anders ist, passt nicht in das Gesellschaftsbild rechter Hetzer: Homosexuell oder auch dunkelhäutig, muslimisch. All das sind Attribute, die keineswegs in das polnische Selbstbild der PiS passen.


Debatten über die Homo-Ehe oder Unisex-Toiletten, wie sie in Deutschland geführt werden, sind Extremisten und Fundamentalisten, egal aus welchem Land sie kommen oder auf welche Religion sie sich berufen, ein Dorn im Auge und gar keiner Diskussion wert. „Wenn man durch Leiden klüger würde, wäre Polen das intelligenteste Land der Welt.“ Mit diesem Satz spricht die polnische Schriftstellerin Maria Dąbrowska die wechselhafte, massiv durch Fremdherrschaft bestimmte Geschichte Polens an. Erst recht hinter dem Hintergrund dieser Geschichte ist es erschreckend, dass ein Volk die Macht in die Hände einer Partei legt, die zwar vorgibt den „Volkswillen“ zu verkörpern, letztendlich aber in erster Linie eine Sache verwirklicht – den schleichenden Abbau des polnischen Rechtsstaats und der Entfernung von Aufklärung und Offenheit.

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