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Meine erste Wahl: Europa!

von Adrian Dittrich - Orientierungslosigkeit, Verantwortung und das besondere Wahlgefühl. Ein humorvoller, aber auch nachdenklicher Einblick in die Erfahrungen eines Erstwählers.



Wie ein großes Familienfest kündigt sie sich an – man muss irgendwie hin, aber wirklich Lust hat man nicht. Euphorie und Freude über meine erste Wahl kann die Europawahl jedenfalls nicht in mir erwecken. Dabei bin ich immer schon überzeugt gewesen von der europäischen Idee und habe mich noch viel mehr nach meiner ersten Wahl gesehnt. Die Bundestagswahl 2017 hat mich in den Bann gezogen, wir haben auch unter Freunden angeregt debattiert und ich hätte am liebsten schon damals mitentschieden, wie unsere Politik gestaltet wird. Zwei Jahre später ist es soweit und jetzt das: Langweile, Konformismus und die Frage, was und wen ich da eigentlich wählen kann.


Europa scheint in dieser Zeit, als müsste und könnte es sich für vergangene Jahre selbst hochleben lassen, ohne jedoch die Zukunft gestalten zu brauchen. „Europa. Die beste Idee die Europa je hatte“ titelt die Grüne, gleich nebenan lese ich „Gerechtigkeit“ und inmitten dieser Plattitüden lächeln Gesichter, die ich noch nie gesehen habe – Familientreffen eben. Um wirklich ein paar Inhalte kennenzulernen, bleibt mir nichts anderes, als mich doch aktiv mit den Parteien auseinanderzusetzen, Wahl-O-Mat und WahlSwiper sind da eine willkommene Entscheidungshilfe, um meine subjektiven Eindrücke mit kurzen Statements und übersichtlichen Balken zu untermauern. Nimmt sich wirklich jeder die Zeit dafür? Bei Recherchen stelle ich fest: Nein! Nicht einmal jeder zweite war bei der letzten Europawahl wählen. Einerseits erschreckend, andererseits wenig verwunderlich bei diesem Wahlkampf. Leider muss ich auch erkennen, wie wenig meine einzelne Stimme erreichen kann. Ganz Deutschland wählt 96 Vertreter des EU-Parlaments. Das bedeutet, ein Abgeordneter vertritt 800.000 Bürger. Zum Vergleich: Luxemburg hat eine Repräsentationsquote von 1: 100.000. Und doch fühlt man die Verantwortung. Zu hoch sind die Prognosen für die blutrünstigen Wölfe Europas, die mit Hass und Parole gegen dieses einmalige Friedensprojekt wettern und nur auf die erste Gelegenheit warten, den Rückzug in nationale Rudel zu besiegeln. Vollkommenes Unverständnis empfinde darüber, dass Großbritannien mit Austrittsabsicht wieder an der Wahl teilnimmt und ausgerechnet Anti-Europäer die größten Stimmanteile erhalten.


Mit der Wahlbenachrichtigung erreicht mich dann aber doch irgendwie Stolz, auch wenn ich schnell feststellen muss, dass ich am Wahlsonntag schon etwas anderes vorhatte. Nichtwählen ist keine Option und eigentlich hatte ich mich auch schon etwas gefreut auf den Gang in die klassische Wahlkabine. Wir entscheiden uns daher nicht für die Briefwahl, sondern für den Gang ins Rathaus unserer Heimatgemeinde Wardenburg und da ist er: der erste Gang in die Wahlkabine – herrlich unspektakulär auf dem Flur des örtlichen Bürgerbüros. Nach zehn Minuten habe ich sie auch schon absolviert; meine erste Wahl und auf dem Weg nach draußen fällt mir ein Plakat von der Satirepartei „Die Partei“ auf: „Wer das liest ist dorf“ – Danke dafür! Europa, dir fehlen Inhalte!

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