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Masken, Maulkörbe und Meinungsfreiheit

Die Corona-Krise hat zu einer Polarisierung der Debatten geführt. Im Zentrum dabei ein elementarer Wert: Die Freiheit. Doch das, was radikale Querdenker darunter verstehen, führt in die Irre. Über die Maskeraden eines instrumentalisierten Freiheitsbegriffs.


"Freie Sachsen" im Freistaat Sachsen. Aber auch anderswo: Es sind Bilder, die die letzten zwei Jahre mitgeprägt haben. Verschwörungstheoretiker*innen, Coronaleugner*innen und Nazis ziehen in Scharen durch die Straßen deutscher Städte und proklamieren lautstark, dass Deutschland eine Diktatur werde. Inmitten ihres ideellen Konstrukts steht die Annahme, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit mehr gäbe, dass sie ihre Meinung nicht mehr laut äußern dürften. Auch wenn die haarsträubende Kurzsichtigkeit dieser verwirrten Gruppe schon alleine darin offensichtlich wird, dass sie paradoxerweise eben genau das tun, was sie als „verboten“ und „unmöglich“ beschreiben, so stellt sich in aktuellen Zeiten nichtsdestotrotz die Frage, wie weit die Meinungsfreiheit aktuell geht und wie weit sie gehen darf.


Was bedeutet Meinungsfreiheit?

Was bei genauerer Betrachtung auffällt, ist, dass nicht nur die tatsächliche Anklage der fehlenden Meinungsfreiheit ungültig ist, sondern auch, dass die Meinungsfreiheit bei einigen Forderungen und Ansichten überhaupt gar keine Anwendung findet. Die Behauptung „Corona existiert nicht“ ist keine Meinung, sondern eine Tatsachenbehauptung bzw. -verdrehung. Sie ist falsifizierbar und in diesem Sinne auch genau wie die Proposition „Corona existiert“ zu behandeln - sprich: auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.


Das bedeutet für die Coronaleugner*innen, dass sie weiterhin auf lückenhafte Erklärung hinsichtlich der erhöhten Todeszahlen zurückgreifen können und, dass sie weiterhin die Aussage, dass die verheerendste Pandemie seit der spanischen Grippe von einem Virus ausgehe, der nach ihrer Meinung nicht existiere, veräußern dürfen - jedoch bedeutet es auch, dass jeder vernünftige Mensch ihnen widersprechen darf. Mit derselben Schärfe und Lautstärke wie die Leugnenden, wohlgemerkt.


Viel blatanter, als die Verwechslung von Meinung und Tatsachenbehauptung, ist jedoch die Verwechslung von freier Meinung und freier Handlung. Einer Maskenpflicht sich zu widersetzen und dies mit der Meinungsfreiheit zu begründen, ist in ungefähr so sinnvoll, wie jemanden wegen Körperverletzung anzuzeigen, nachdem er mich beleidigt hat - beides vermischt zwei so unabhängig voneinander existierende Ebenen der Freiheit, dass es noch nicht einmal notwendig den unterliegenden Denkfehler genauer zu erläutern.


Welches Freiheitsverständnis steckt dahinter, die Maske nicht tragen zu wollen?

Und doch! Doch kann man von der Gegenüberstellung (nicht dem Vermischen!) dieser beiden Ebenen ein paar Dinge über eine neu gedachte, vielleicht konstruktive, vielleicht progressive, vielleicht auch einfach nur notwendige Meinungsfreiheit lernen. Denn: Freiheit im Wortsinn und Freiheit in der realen Umsetzung unterscheiden sich stark. Maskengegner plädieren bei ihrer Entscheidung, die Maske nicht zu tragen, auf ihre eigene Freiheit. Ihre eigene Entscheidung, ob und wie sie ihr Gesicht bedecken, wird hierbei zum zentralen Symbol, an welchem der Unterschied zwischen Fremd- und Eigenbestimmung festgemacht wird - und was ist denn Freiheit bitte anderes als Autonomie, als die Freiheit von Eingriffen? Doch lässt sich am Beispiel der Maske auch erkennen, inwiefern Freiheit nicht mit Vorschriftslosigkeit, essentiell mit Anarchie, gleichzusetzen ist. Die Einzelperson nimmt Einschnitte in die eigene Freiheit (eine Maske über dem Gesicht) vor, um die Sicherheit und somit nicht zuletzt auch die Freiheit der Allgemeinheit zu gewährleisten. Diese Mechanik ist essentiell für jedes Regelwerk: angemessene Maßnahmen und Einschränkungen, um jedem Menschen seine persönlichen Freiheiten und somit auch seinen persönlichen Wert zu gewährleisten - meine Freiheit geht nur so weit, wie sie deine nicht einschränkt.


"Wer ist wirklich weinerlicher - derjenige, der sich gegen die Benutzung von diskriminierenden Begriffen und Meinungen einsetzt oder derjenige, der sich davon angegriffen fühlt?"


Was für die Handlungsfreiheit so einleuchtend erscheint, ist für die Meinungs- und Redefreiheit für viele Menschen scheinbar undenkbar. Eine Sprache, die anderen Menschen nicht abwertet und objektifiziert, erscheint einigen Menschen als ein Eingriff in ihre Meinungsäußerung. Der konstruktive Erhalt von Freiheit, der jeder Handlungsregulierung obliegt, ist für die Sprache scheinbar undenkbar - wie könne man es nur wagen bestimmte Begriffe und Meinungen zu "verbieten"? Einen Eingriff in die Redefreiheit sei zu fürchten - ja, wie könne man es nur wagen, der freien Meinungsäußerung das Siegel der politischen Korrektheit vorzuschieben. Der direkteste Einwand dazu wäre: „Wenn man es nicht schafft seine eigene Meinung so zu formulieren, dass sie keinen Randgruppen ihre Gleichwertigkeit abspricht, dann sollte man seine Meinung vielleicht generell nicht so laut veräußern.


Wenn die ein oder andere kulturelle Wandlung innerhalb unseres Landes stattgefunden hat und vielleicht nicht mehr alle es - zum Glück - okay finden, marginalisierte Gruppen durch den Missbrauch von klar historisch konnotierten Begriffen zu diskriminieren, dann ist das nicht das Problem der Gesellschaft, dass die Einzelperson nicht flexibel genug ist, ihren Sprachgebrauch anzupassen. Die eigene Unzulänglichkeit ist kein gesellschaftliches Problem, so blöd wie das auch sein mag. Das Kritisieren von Witzen über präfertierte Pronomen und Geschlechtsidentitäten, die Abschaffung der Nutzung des N-Wortes, “schwul” und “behindert” nicht mehr als Beleidigung zu verwenden - all das ist kein Aufschrei der linken Cancel Culture. Kein weinerlicher, ja melodramatischer Indiz für die Generation Schneeflocke, die es nicht erträgt, dass es in dieser Welt auch Leid gibt. Menschen, die so etwas fordern, sind keine in Watte gehüllten Heulsusen, die die Meinungsfreiheit abschaffen wollen, weil ihnen bestimmte Ideen unangenehm sind; sie gehen lediglich den logischen gedanklichen Schritt von einer Welt in der meine Faust dein Nasenbein nicht zertrümmern darf, zu einer Welt in der meine Äußerungen dir deinen Wert als Menschen nicht absprechen dürfen. Es ist moralische Konstanz, nicht diktatorische Einschränkung! Die Verteidigung des Freiheitsbegriffs verkommt mittlerweile oft zu einer Maskerade eine rücksichtslosen Radikalismus.


Zum Abschluss bleibt nur eine Frage: Wer ist wirklich weinerlicher - derjenige, der sich gegen die Benutzung von diskriminierenden Begriffen und Meinungen einsetzt oder derjenige, der sich davon angegriffen fühlt?

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