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"Ist unsere Demokratie in Gefahr?"

Von Thore Mennrich - Warum verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in Politik und Medien? Und welche Rolle spielen soziale Ungleichheit und Bildung dabei? Dieser Essay möchte über den Wert der Demokratie - und ihre Gefahren - aufklären.


„Die Demokratie ist in Gefahr“

Eine Floskel, die schon seit der Etablierung derselben von jeglichen politischen Lagern genutzt wird und zweifelsohne seit jeher stimmt. Die Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, war in Deutschland schon immer bedroht. Solange Institutionen und Gesellschaft nicht entschieden gegen die Ursachen dieser Bedrohungen vorgehen, wachsen sie weiter. Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft, hervorgehend aus einem Verlust des Vertrauens in die Institutionen, sind daher die wohl größten Risiken für die Demokratie.

 

Die oft als rechtsextrem deklarierte Partei Alternative für Deutschland[1] ist mittlerweile das wohl beste Beispiel für einen Profiteur dieses Vertrauensverlusts. Die AfD nutzt die Demokratieverdrossenheit[2] vieler Menschen, um sich mit simplem Populismus die Wählergunst zu sichern. Dadurch schaffte sie es, insbesondere auf Kommunal- und Landesebene die stärkste Partei in vielen der neuen Bundesländern zu werden und die Wähler trotz fortschreitender Radikalisierung an sich zu binden. Dennoch gefährdet sie die Demokratie nicht nur durch ihre politische Einflussnahme, sondern vor allem durch ihre Narrative. Denn das Elitendenken und die von vielen AfD-Politikern verbreiteten Verschwörungstheorien hatten zweifellos eine Verherrlichung der Gewalt und Diskriminierung gegenüber politischen Gegnern und Menschen mit Migrationshintergrund zur Folge, wenn nicht sogar zum Ziel. Die Grundwerte der Demokratie, z.B. die Gleichheit aller Menschen, die Meinungs- und auch die Pressefreiheit werden durch solche Narrative infrage gestellt und gefährdet.


Allerdings gibt es nicht nur innere Gefahren für unsere heutige Demokratie. Denn auch die Einflussnahme anderer Länder, sowohl durch politische Desinformation, als auch durch wirtschaftliche Destabilisierung stellt für die Demokratie in Deutschland eine große Bedrohung dar. So kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Cyberattacken auf deutsche Unternehmen, sowie digitale Infrastruktur von Behörden, Parteien und Regierungsmitgliedern mit dem Ziel, kritische Daten finden und gegen Regierung oder Wirtschaft einsetzen zu können. Die größten Gefahren für die Demokratie in Deutschland bleiben allerdings Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft. Wie schon in der Weimarer Republik kommt der größte Feind der Demokratie aus ihrem Inneren, aus dem eigenen Volk.

 

Demokratie in Deutschland und Entwicklungen in den letzten Jahren

Im Grundgesetz sind viele Gesetze vertreten, die als Basis der Demokratie gelten. Das sind die Grundrechte, also Meinungs- und Pressefreiheit, die menschliche Würde und die Gleichheit aller Menschen, aber auch das Recht zur freien Religionsausübung und viele andere fundamentale Rechte. Auch die Rechte und Zuständigkeiten der Institutionen sind hier geregelt. Für eine funktionierende Demokratie müssen allerdings auch passende gesellschaftliche Voraussetzungen gelten. Das sind z. B. der Wille in der Demokratie zu leben, gesellschaftliche Einheit und die Vertretung demokratischer Grundwerte durch einen Großteil der Bevölkerung.


Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 sind diese Bedingungen gegeben. So wurde die Demokratie seitdem nie von großen Bevölkerungsteilen abgelehnt. Durch eine hohe Bereitschaft zu Kompromissen seitens der meisten Parteien wirkte die Politik einig. Innerhalb der großen Volksparteien[3] CDU/CSU und SPD gab es meist ein breites politisches Spektrum, bei der SPD von sozialistischen Kräften bis hin zu konservativen, wirtschaftsliberalen Kräften, sowie bei der CDU/CSU von sozial-progressiven Kräften bis hin zu einem großen nationalkonservativen und wirtschaftsliberalen Flügel. Durch diese politische Einigkeit und Kompromissbereitschaft deckten die Parteien lange große politische Spektren ab, ohne dass es zu folgenschweren Spaltungen aufgrund entgegengesetzter politischer Vorstellungen kam. So erhielten die beiden Volksparteien zusammen von 1949 bis 1998 im Durchschnitt zusammen 81,6%, der Stimmen[4]. Im Laufe der Zeit wurden die radikalen Parteiflügel der beiden Parteien jedoch zunehmend durch die großen moderaten Blöcke innerhalb ihrer Parteien verdrängt, wodurch es zu Abspaltungen der Flügel und der Neustrukturierung in kleineren Parteien (politische Fragmentierung) kam. Parallel wurden die Wünsche der Wähler durch die steigende Präsenz neuer Probleme und Themen wie dem Klimawandel, der Asylpolitik, Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland, sowie postmaterialistischen Fragestellungen, wie z. B. der Gleichstellung der Geschlechter oder dem richtigen Umgang mit sexueller Diversität immer individueller, weshalb sich viele Wähler kleineren Parteien, die ihre politischen Ansichten besser vertraten, zuwandten. Durch diese Entwicklungen wurde Bündnis 90/Die Grünen, die sich seit den 1980ern als Umweltpartei etabliert hatte, aber auch auf soziale Aspekte fokussierte Parteien, wie die Linkspartei[5] bekannter und spielten 1998 im Kabinett Schröder[6] erstmals auch bei der Regierungsbildung eine Rolle. Ein später Gewinner der politischen Fragmentierung der letzten Jahre ist die Alternative für Deutschland.

 

Drei große Gefahren für die Demokratie

Die vielen Herausforderungen, die unsere Demokratie bedrohen, lassen sich grob drei Kategorien zuordnen. Den inneren (innersystematischen) Gefahren, den äußeren (äußersystematischen) Gefahren und den strukturellen Gefahren. Zu den inneren Gefahren gehören politische Radikalisierung, Desinformation und Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Zu den äußeren Gefahren gehören Einflussnahme durch ausländische Akteure, Terrorismus, aber auch Flüchtlingskrisen. Die strukturellen Gefahren sind mangelnde politische Bildung, soziale Ungleichheit und schwache Institutionen (unzureichende Rechtsstaatlichkeit). Meist wirken viele Gefahren mehrerer Kategorien zusammen.


In Deutschland sind fast alle dieser Probleme präsent. Äußere Einflussnahme in Wirtschaft und Politik, vornehmlich durch Russland und China, Flüchtlingskrisen, hohe soziale Ungleichheit, schwache politische Bildung sowie daraus resultierend Polarisierung und Radikalisierung. Ein großes Problem ist auch das Erstarken des Populismus in Deutschland. Die Polarisierung der Gesellschaft ist allerdings bei weitem der größte Faktor für das Zustandekommen einer solchen Entwicklung.


Äußere Einflussnahme

Die äußere Einflussnahme geschieht in Deutschland vor allem durch Korruption und Cyberattacken. So greifen russische, chinesische und teilweise auch nordkoreanische Hackergruppen häufig deutsche Unternehmen sowie Behörden an und sorgen durch Serverausfälle und Datenlecks für große Schäden. Aber auch Cyberattacken auf andere Länder sorgen für große Folgeschäden deutscher Unternehmen, denn die meisten Unternehmen sind auf amerikanische Software und Server angewiesen, sodass ein Angriff auf diese ebenfalls die deutsche Wirtschaft direkt trifft.

Korruption aus dem Ausland beeinflusst sowohl Politik als auch Wirtschaft in Deutschland. Bekannte Fälle von Bestechung und Korruption in Deutschland stehen vor allem mit dem russischen Staatsunternehmen Gazprom im Zusammenhang. Ein Beispiel ist die Beeinflussung deutscher Politiker für den Bau der beiden NorthStream-Pipelines.


2015 kam es dann zu der europäischen Flüchtlingskrise, die eine gemeinsamen Lösung der europäischen Staaten bedingte. Die Aufnahme Deutschlands von ca. 2 Millionen Flüchtlingen in den Folgejahren sorgte dafür, dass die integrativen Systeme des Staates überfordert wurden. Eine schwere Aufgabe, der zusätzlich mit schlechter Planung und Vorbereitung begegnet wurde. Die Verteilung der Flüchtlinge stellte hierbei den größten Faktor dar, denn die meisten Flüchtlinge wurden anfangs in Großunterkünften mit kaum Kontakt nach außen untergebracht, was Integration und kulturellen Austausch sehr erschwerte. Die teilweise Entstehung von Parallelgesellschaften war die Folge.


Soziale Ungleichheit

Soziale Ungleichheit ist in Deutschland schon lange ein großes Thema. Selbst in der sozialistischen DDR gab es unterschiedliche soziale Klassen. Die Bürger auf der einen und die Parteifunktionäre auf der anderen Seite. In der BRD war die Ungleichheit vor allem vom Einkommen abhängig. Doch in den letzten Jahren erreichte die soziale Ungleichheit in Deutschland einen Hochpunkt.[7] Dies lag vor allem daran, dass seit 1996 viele Steuern, insbesondere diese, die Milliardäre und Unternehmen betreffen, erheblich gesenkt wurden. Bekanntes Beispiel ist etwa die Abschaffung der Steuer auf nicht ausgeschüttete Gewinne. Somit wurde die Belastung für die Mittel- und Unterschicht in den letzten Jahren immer höher, da die staatlichen Umverteilungsmaßnahmen, deren Zweck es ist, die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, zunehmend entmachtet wurden. Dies äußert sich unter anderem in der hohen Armutsquote und der Armutsgefährdungsquote, die ebenfalls auf einem Höchststand verweilt. Und das hat nicht nur mit Arbeitslosigkeit zu tun. Denn trotz Arbeit waren ca. 8 Prozent der deutschen Erwerbstätigen 2023 in Armut. Die strukturelle Armut sorgt für einen Vertrauensverlust in die Politik, ins System[8] und somit auch in unsere Demokratie.

 

Politische Bildung

Mit der hohen sozialen Ungleichheit geht auch ein schwaches Bildungssystem und mangelnde politische Bildung einher. Die Folgen dessen sind unter anderem eine hohe Offenheit der Bevölkerung für Falschinformationen und Populismus. Die niedrige Bildung ist aber auch ein Faktor, der Menschen sozial und finanziell benachteiligt, denn eine schwache Bildung bedeutet auch niedrigere Chancen im Berufsleben. Folgend haben Menschen mit einer niedrigeren Bildung ein höheres Risiko, ihren Job zu verlieren und somit in Armut zu geraten. Dies führt auch zu erhöhter sozialer Abstiegsangst vieler Menschen, welche sich wiederum in mehr Demokratieverdrossenheit und der Zuwendung zum Populismus äußern kann.


Pressefreiheit

Viele Medien in Deutschland sind in privater Hand. Neben eher kleinen Anbietern oder Medien des öffentlichen Rundfunks gibt es meist nur noch große private Medienkonzerne. Vor allem gehört dazu die Axel Springer SE. Der größte Medienkonzern Deutschlands hat mit bekannten Ablegern, wie der Bild, der Welt, Politico Europe, Business Insider, der Berliner Tageszeitung und Beteiligungen an vielen regionalen Rundfunkunternehmen einen großen Einfluss. Ein beträchtlicher Teil der deutschen Presse ist somit in der Hand zweier großer Privatinvestoren, nämlich Mathias Döpfner und Friede Springer und seit 2020 auch des großen US-amerikanischen Investors Kohlberg Kravis Roberts. Die Einflussnahme der Aktionäre in die Publikationen der Verlage ist seit längerem nachgewiesen. So wies der Großaktionär Mathias Döpfner vor den Bundestagswahlen 2021 den Chefredakteur der Bild, Christian Reichelt, dazu an, die Marktmacht der Bild dazu zu nutzen, die FDP im Wahlkampf zu unterstützen.[9] Dies lässt vermuten, dass es sich hierbei nicht um die einzige Art einer solchen Einflussnahme handelte.


Demokratieverdrossenheit

Demokratieverdrossenheit ist die Unzufriedenheit mit einem demokratischen System. Meist gleichbedeutend ist der Begriff daher mit dem Verlust des Vertrauens in die Institutionen. Dieser Vertrauensverlust kann unterschiedliche Gründe haben, der wichtigste ist meist aber die soziale Ungleichheit, sowie die mangelnde Transparenz und Bürgernähe der Politik. Demokratieverdrossenheit ist der größte Faktor für den Erfolg antidemokratischer Bewegungen.


Populismus

Der starke Populismus in Deutschland ist eine Folge all dieser Faktoren unter dem Motto: „Es muss sich etwas ändern.“ Alle genannten Faktoren sorgen, vor allem durch die von ihnen begünstigte Demokratieverdrossenheit, insbesondere bei Menschen aus der Unterschicht und Menschen mit geringer Bildung, für einen Verlust des Vertrauens in die Demokratie. Denn die demokratischen Parteien Deutschlands haben ihre Versprechen nicht halten können. Trotz des großen wirtschaftlichen Wachstums nahmen die Löhne in den letzten Dekaden, im Gegensatz zur Armut, kaum zu. Populistische Rhetorik, also Rhetorik, die Themen stark vereinfacht und durch die Unterscheidung zwischen „Volk“ und „Elite“ geprägt ist, wird allerdings auch von den meisten demokratischen Parteien zur Wählergewinnung eingesetzt. So verwendet die CDU/CSU populistische Rhetorik im Themenbereich Asylpolitik, Wirtschaft und Familienpolitik, die Linke diese im Bereich Sozialpolitik, die Grünen beim Klimaschutz und die FDP bei dem Thema der staatlichen Regulierung.


Durch das Bedienen populistischer Rhetoriken stärken die demokratischen Parteien den Populismus und populistische Narrative. Die dadurch bedingten Veränderungen der Debattenkultur verstärken die Spaltung der Gesellschaft. Mittlerweile haben sich in der Gesellschaft zwei Lager gebildet. Auf der einen Seite diese, die Demokratie fördern sowie unterstützen und andererseits die Menschen, die sich von dem System abgewandt haben. Eine Polarisierung und Radikalisierung der Bevölkerung wurde herbeigeführt. Und die Parteien, die am meisten von einer solcher Radikalisierung und Demokratieverdrossenheit profitieren, finden sich natürlich in der anti-demokratischen politischen Extreme.


Der Aufstieg der AfD

Die AfD wurde 2013 als eine europakritische und wirtschaftsliberale Anti-Establishment-Partei gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehören unter anderem prominente Politiker wie Alice Weidel, Björn Höcke und Frauke Petry, aber auch liberale Ökonomen, zu denen z. B. Bernd Lucke gehörte. Noch im Gründungsjahr traten der AfD aber auch viele ehemalige CDU-Politiker[10] bei, die nach dem Machtverlust des rechten Flügels während der Merkel-Ära und der daraus resultierenden moderaten Ausrichtung der Partei eine Alternative suchten. Der größte Grund für den Übertritt von CDU-Mitgliedern zur AfD war die offene Asylpolitik der moderaten Kräfte einschließlich Merkels („Wir schaffen das“), die insbesondere während der Flüchtlingskrise 2015 für viele nationalkonservative Parteimitglieder zu einem endgültigen Bruch mit der Partei führte.


Von Gründung her gab es in der AfD unterschiedliche politische Strömungen. Innerhalb der Partei herrschte daher seit jeher ein Machtkampf zwischen den Lagern. Doch bald nach der Gründung wurde klar, dass das rechte Lager die AfD dominieren würde. Denn spätestens mit der Flüchtlingskrise 2015 wurden rechte und rechtsextreme Strömungen innerhalb der AfD von dem Großteil der Mitglieder toleriert, wenn nicht sogar unterstützt. Durch die Abwahl des Gründers und langjährigen Vorstands Bernd Lucke, als Vertreter des konservativen Lagers und dessen Ersetzung durch eine Doppelspitze aus Frauke Petry und Jörg Meuthen, als Vertreter des rechtskonservativen Lagers, sowie die Gründung des völkisch-nationalistischen „Flügels[11]“ durch Björn Höcke, wurde dies auch schnell nach außen kommuniziert.


Infolgedessen verließen die moderaten Kräfte die Partei, sodass die rechten Kräfte die Partei vollkommen übernahmen. Der erfolgreiche Rechtspopulismus der AfD sorgte dafür, dass die Partei in Umfragen erstmals um die 8-10% erhielt. Folgend wurde auch die mediale Präsenz der Partei größer und sorgte dafür, dass es der AfD zunehmend gelang, potenzielle Wähler zu erreichen und populistische Narrative zu verbreiten. Im Jahr 2016 gelang es der AfD dann, in drei Landtage einzuziehen. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit jeweils zweistelligen Ergebnissen in Sachsen-Anhalt sogar mit 24,7%. In der Bundestagswahl 2017 schaffte die AfD es dann mit 12,6% in den Bundestag. Die Machtkämpfe innerhalb der Partei gingen allerdings weiter und während die AfD sich weiter radikalisierte wurde die Präsenz des Flügels innerhalb der Partei immer größer. Dies führte dazu, dass Frauke Petry noch im selben Jahr aus der Partei austrat, da sie die Radikalisierung der Partei nicht mitverantworten wollte. Der nationalkonservative Alexander Gauland übernahm ihre Stelle und etablierte die AfD als „Protestpartei“. Trotz der nationalistischen Haltung Gaulands gab es in der Partei noch immer Konflikte, meistens ging es dabei um die Legitimität und Vertretbarkeit des Flügels. Denn durch seine offen völkisch-nationalistische Ausrichtung war der Flügel in vielerlei Hinsicht eine Gefahr für die Partei. Er schreckte nicht nur konservativ-traditionelle Wähler ab, sondern stellte auch durch seine Beobachtung durch den Verfassungsschutz für die Partei eine große Gefahr dar. Als der Flügel im Jahr 2020 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde, entschieden sich die führenden Köpfe des Flügels, diesen offiziell aufzulösen, um einer Einstufung der gesamten Partei als gesichert rechtsextrem aus dem Weg zu gehen. Die Strukturen des Flügels bestehen allerdings größtenteils aber weiter und die meisten Flügelmitglieder blieben noch weiterhin in der Partei.


Während der Corona-Pandemie schaffte die AfD es dann, eine neue Bewegung, die Querdenker, hinter sich zu versammeln. Denn als Partei war die AfD die Einzige, welche die Maßnahmen kritisierte und auch nicht an der Verabschiedung derer beteiligt war. Die Positionen der Partei sorgten dafür, dass es innerhalb der AfD zu Konflikten über den richtigen Umgang mit dem Coronavirus kam. Die breite Unterstützung der Maßnahmen durch die Bürger sorgte allerdings auch dafür, dass die AfD große Umfrageverluste zu verbüßen hatte. Infolgedessen versuchte die Partei, sich als Schützer der Grundrechte zu inszenieren und viele Mitglieder verbreiteten Verschwörungstheorien, welche die Regierung und „Elite“ als Unterdrücker des Volkes darstellen. Dies resultierte in einer Zunahme der Anhänger und sorgte dafür, dass die AfD sich weiter radikalisierte. Denn die Striktheit der Maßnahmen und die damit zusammenhängenden Eingriffe in die Grundrechte dienten den Radikalen als Rechtfertigung ihres extremen Kurses und sorgten dafür, dass viele Menschen den Glauben in das System verloren, wodurch sich der AfD mehr Wählerpotenzial bot. In den Jahren nach Corona erreichte die AfD dann erstmals über 20 Prozent in der Sonntagsfrage. Anschließend schaffte die AfD es dann in den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg auf ca. 29,2%, in Sachsen auf 30,6% und in Thüringen sogar auf 32,8% der Stimmen. Die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbände Thüringen und Sachsen wurden also von einem Großteil der Bevölkerung gewählt und stehen symbolisch für eine radikalisierte und polarisierte Gesellschaft.


Präsenz der AfD in Ostdeutschland

Mit der Wende kam es insbesondere in Ostdeutschland zu vielen neuen Entwicklungen. Denn mit den neuen Systemen Demokratie und sozialer Marktwirtschaft kam es auch zu einer Phase der Ungewissheit, denn die Zukunft Ostdeutschlands war lange unvorhersehbar. Die Sicherheit des alten sozialistischen Systems war verloren. Mit dem Aufkauf vieler ehemaliger Staatsbetriebe durch westliche Aktionäre fühlten sich viele Ostdeutsche dann zusätzlich noch um ihr Lebenswerk betrogen. Viele Betriebe wurden aufgrund zu geringer Wirtschaftlichkeit bald geschlossen, so dass die Arbeitsplätze im Osten abnahmen. Auch in der Politik fühlten sich die Ostdeutschen schlecht repräsentiert. Denn nur ein geringer Teil der Bundespolitiker stammte aus den neuen Bundesländern. Viele fühlten sich, als wäre ihnen das westdeutsche System und Leben aufgezwungen worden und als müssten sie sich diesem anpassen. Diese Unsicherheit und Enttäuschung führten zu einem Verlust des Vertrauens in die Demokratie, der Ablehnung von gesellschaftlichen Neuerungen und auch für eine höhere Offenheit gegenüber dem Populismus.


AfD als Symptom einer geschwächten Demokratie

Die AfD kann als Beispiel dienen, inwiefern unterschiedliche Probleme der Demokratie zusammenwirken können. Denn der Aufstieg der Partei ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Schließlich sind der Populismus und die Polarisierung, mit der Parteien wie die AfD ihre Wähler gewinnen, erst durch das schwache deutsche System so erfolgreich geworden. Das heißt, alle Faktoren, die die Demokratie schwächen, stärken die AfD. Untersuchungen deuten mittlerweile darauf hin, dass Mitglieder und Anhänger der AfD, sich überhaupt nicht mehr als heimliche Mehrheit, sondern als ausgegrenzte und auserwählte Minderheit sehen. Ein Konzept, das klar im Widerspruch zu den Prinzipien der Mehrheitsdemokratie steht. Eine Bewegung und Partei, die es nicht darauf absieht, zu regieren, sondern das demokratische System von außen zu torpedieren und auf dessen Untergang den eigenen Aufstieg aufzubauen.


„Sie wollen nicht einfach Vergangenheit zurück. Es geht darum, die jüngere Geschichte zu revidieren – unter anderem die Emanzipations- und Liberalisierungsgewinne der vergangenen Jahrzehnte. Diese Leute wollen einen Untergang als Bedingung für eine Neuordnung“. Philipp Rhein, Rechtspopulismusforscher am Böckler-Kolleg

 

Das zeigt auch, dass der Hauptgrund des Aufstiegs der AfD klar in Politik und Gesellschaft zu finden ist. Denn der Trend hin zur AfD geht von dem Gefühl der Zurückgelassenheit vieler Menschen aus. Leider gibt es dafür teilweise sehr reale Gründe.

 

Demokratiefeindlichkeit der AfD und „Neuen Rechten“

Die AfD bedroht unsere Demokratie. Nicht nur durch politische Macht, auch durch ihren Einfluss in der politischen Debatte. Einen großen Faktor stellen dafür auch die „Neuen Rechten“, eine uneinheitliche Bewegung rechtsextremer, selbsternannter Intellektuellen dar. Das Gefährliche an den Neuen Rechten ist, dass sie sich im Gegensatz zu üblichen, z. B. völkisch-nationalistischen Rechtsextremen, wie etwa Björn Höcke, nicht offen zu neonazistischen Zielen oder Werten bekennen. Die Bewegung, deren Ideologie große Ähnlichkeiten zu denen der klassischen Rechtsextremen aufweist, ist dafür bekannt, rassistische Ideologie in einer intellektuellen Hülle neu zu verpacken. Der Gedanke dahinter ist, die eigene Ideologie auch in intellektuellen Kreisen einzubringen und für eine schrittweise Normalisierung derer zu sorgen. Dazu distanzieren sich die Neuen Rechten meist von den klassischen Rechtsextremen, um sich einem breiteren Publikum anzubieten und auch Gruppen zu beeinflussen, die sich sonst eher nicht mit Rechtsextremismus identifizieren. Dazu versuchen sie auch, ein demokratisches Image zu erhalten. Die öffentliche Distanzierung vom Rechtsextremismus bedeutet in der Realität kaum etwas, denn diese wird häufig nur vorgegeben, während in Wirklichkeit sowohl Neue Rechte, als auch klassische Rechtsextreme gemeinsam ähnliche Ziele und die AfD unterstützen. Doch Begriffe, wie der harmlos klingende „Ethnopluralismus“ werden von den Neuen Rechten gezielt genutzt, um rassistische Ideen, hier eine neue Form von Rassentrennung, wieder salonfähig zu machen und damit antidemokratische Ideologeme[12] demokratisch erscheinen zu lassen.

 

Demokratie, ein veraltetes System?

Die parlamentarische Demokratie, wie wir sie in Deutschland haben, hat in Hinsicht zu anderen Systemen, wie etwa der Monarchie, dem Autoritarismus und dem Kommunismus, große Nachteile. Denn sie ist sehr langsam in der Entscheidungsfindung, politische Machtspiele sorgen oft für kurzfristige, nicht nachhaltige Entscheidungen. Zudem ist sie sehr von der Entwicklung und Bildung der Gesellschaft abhängig. Außerdem ist sie anfällig für das Ignorieren der Interessen von Minderheiten, sowie für Korruption und Machtmissbrauch. Die Beteiligung der Bevölkerung an der Entscheidungsfindung ist im Vergleich zur direkten Demokratie, die von vielen Bewegungen gefordert wird, geringer.


Dennoch ist die parlamentarische Demokratie ein System, das große Vorteile mit sich bringt. Denn sie ermöglicht, anders als die direkte Demokratie schnellere Handlungen und Reaktionen, verhindert irrationale, spontane Fehlentscheidungen einer Mehrheit und sorgt für Stabilität, sowie den institutionellen Schutz von Minderheiten. Im Gegensatz zu Systemen ohne Mitbestimmung der Bevölkerung garantiert sie außerdem eine minimale soziale Gerechtigkeit, die Mitbestimmung der Bürger und die Freiheit der Menschen. Die Demokratie ist ein Kompromiss oder wie es Winston Churchill einst auf den Punkt brachte:

 

It has been said that democracy is the worst form of Government except for all those other forms that have been tried from time to time…“

(= „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.")

 

Wie kann man die Demokratie besser schützen?

Mögliche Lösungsansätze, die man verfolgen könnte, um die Demokratie zu stärken, liegen logischerweise in der Bekämpfung der Ursachen für ihre Schwächung. So könnte man etwa die Politik transparenter und bürgernaher gestalten, sowie Korruption, Lobbyismus und soziale Ungleichheit bekämpfen, um das Vertrauen in die Institutionen wiederherzustellen. Auch wäre es notwendig, politische Bildung und Medienkompetenz stärker zu fördern, aber auch die Unabhängigkeit der Medien zu sichern. Dadurch würde man nachhaltig populistische Narrative schwächen. Auch würde es wichtig sein, dass die demokratischen Parteien sich klar gegen den Populismus stellen und sich von populistischer Rhetorik verabschieden. 

Fazit: Ist unsere Demokratie in Gefahr? 

Unsere Demokratie ist in Gefahr und das sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Viele Faktoren bedrohen die Demokratie und sorgen dafür, dass Demokratieverdrossenheit und Populismus erstarken. Obwohl die meisten anerkennen, dass die parlamentarische Demokratie Deutschlands gefährdet ist, so wirkt das Verhalten und die Rhetorik vieler demokratischer Parteien doch achtlos. Die Gesellschaft ist gespalten, in Löhnen und in Werten. Die Grundsätze unserer Demokratie sind bedroht. Meinungs- und Pressefreiheit werden von anti-demokratischen Bewegungen und Großkonzernen zunehmend eingeschränkt. Die Institutionen werden von vielen Bürgern verachtet. Menschen werden aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion diskriminiert oder Opfer von Gewalttaten. Kommunalpolitiker müssen sich aufgrund von Androhung oder Ausübung von Gewalt schützen und aus der Politik zurückziehen. Spätestens der versuchte Sturm auf den Reichstag sollte symbolisiert haben, wie ernst die Lage ist.


Und trotzdem ist für einen Teil der Parteien die Wahrung der Demokratie nicht mehr wert als ihre eigenen Überzeugungen. Viele demokratische Parteien sind mehr damit beschäftigt, ihre Konkurrenten aus anderen demokratischen Parteien zu bekämpfen, als sich den antidemokratischen Bewegungen entgegenzusetzen. Parteien, die Lösungswege verfolgen, um die Demokratie zu unterstützen, Politik bürgernaher zu gestalten, werden statt unterstützt zu werden, von den anderen Parteien mit populistischen Parolen angegriffen. Politik und Gesellschaft sind zu zerstritten, um vereint den Gegnern der Demokratie entgegenzuwirken zu können. Und schlimmer noch, Brandmauern gegen die Extreme werden von der politischen Mitte missachtet. Deshalb ist es nicht nur Aufgabe der Politik, die Demokratie zu bewahren, sondern die Aufgabe jedes Einzelnen.



[1] Die Alternative für Deutschland ist laut dem Verfassungsschutz der Länder in 6 Bundesländern ein rechtsextremistischer Verdachtsfall, sowie in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen gesichert rechtsextrem.

[2] Demokratieverdrossenheit ist die Unzufriedenheit mit dem demokratischen System und seinen Institutionen, meist bedingt durch einen Vertrauensverlust.

[3] Partei, die breite Gesellschaftsschichten anspricht.

[4] Basierend auf der Liste der Bundestagswahlergebnisse.

[5] Früher PDS, heute bekannt als Die Linke.

[6] Rot-Grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder als Kanzler.

[7] Laut Hans-Böckler-Stiftung Berechnungen anhand des Gini-Index von 1991 bis heute.

[8] Politisches System, in Deutschland die parlamentarische Demokratie.

[9] Laut Berichten der Zeit, basierend auf internen Chatnachrichten zwischen Julian Reichelt und Mathias Döpfner.

[10] Prominente Beispiele sind Alexander Gauland, André Poggenburg, Jörg Meuthen und Thomas Seitz.

[11] „Der Flügel“ war ein völkisch-nationalistisches Lager in der AfD.

[12] Ein Ideologem ist ein konkreter Bestandteil bzw. eine Vorstellung einer Ideologie.

 
 
 

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