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Debattenkultur wie im Kindergarten

Aktualisiert: 4. Apr. 2019


Von Leonard Püschel – Wo sich einmal zwei Positionen begründet zu einer Kontroverse gegenüber standen, wird unsere Debattenlandschaft heute von „Fake-News“, Moralismus und gegenseitiger Diffamierung durchzogen. Was einst mit der Migrationsdebatte begann, zeigt sich nun auch in Artikel 13, Friday´s for Future und vergiftet das Debattenklima.




Am 19.02.2019 postet der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: „The Washington Post is a Fact Checker only for the Democrats. For the Republicans, and for your all time favorite President, it is a Fake Fact Checker!“ Dass wir mittlerweile im postfaktischen Zeitalter angelangt sind, ist mittlerweile wohl jedem klar. Doch wie kam es dazu, welche Folgen hat dies und wie kann man dagegen nun vorgehen?


Moralismus gegen Populismus

Die Debattenlandschaft weist in vielen Diskussionen ähnliche Symptome auf: Es gibt eine sehr polarisierte Debatte. Dabei stehen in der Migrationsdebatte auf der einen Seite die Populisten. Offensichtlich ist, wie sie dem Debattenklima schaden. Man beruft sich auf alternative Fakten, provoziert bewusst mit völkischem Gedankengut, nimmt aber letztlich doch wieder alles zurück und hat eigentlich nur das Ziel, die Regierung zu destabilisieren, die Bürger zu instrumentalisieren und die Debatte zu polarisieren.


Mit einer erkenntnisorientierten Debatte hat das nicht mehr viel zu tun. Was macht nun die „politische Mitte“? Die Reaktion ist mehr als verständlich: Vehement wird dagegen vorgegangen, dass Populisten den Eindruck erwecken wollen, dass allein sie bei sensiblen Themen wie beispielsweise der Migrationsdebatte den „Bildungsauftrag“ gegenüber der Bevölkerung wahrnehmen. „Fake-News“ werden richtig gestellt, völkisches Gedankengut wird entkräftet. Dabei schießen manche von denjenigen, die dies aus richtiger Motivation tun, über das Ziel hinaus und erklären sich zu Moralaposteln unserer Gesellschaft. Sie zeigen zu Recht Haltung gegenüber den Populisten und stellen gegen die Werte der Populisten ihre eigenen: Toleranz, Solidarität und Weltoffenheit.


Das ist zunächst wirklich wichtig und richtig, problematisch wird es nur dann, wenn die Moralisten diese Haltung so sehr in die Gesellschaft versprühen, dass alles, was politisch tendenziell etwas konservativer, aber immer noch fundiert und den Werten einer Demokratie entsprechend ist, pauschal verurteilt und als populistisch abgestempelt wird. Der Fall Relotius stellt dieses Problem sinnbildlich dar. Der Journalist hatte Reportagen unter anderem für den SPIEGEL, die Süddeutsche Zeitung und den Cicero bewusst geschönt und gefälscht, um Populisten zu entkräften, sich aber auch gegen andere gesellschaftspolitisch konservative Positionen zu wenden. Genau dies ist allerdings der falsche Weg gegen die Populisten. Indem man ihre eigenen Waffen benutzt, lässt man sich auf ihr Niveau herab und etabliert eine Debattenkultur, wo sich Fake-News-Vorwürfe und „Lügenpresse“-Schreier gegenüberstehen.

Allgemeine Trends in der Debattenkultur

Doch diese Phänomene lassen sich weiter abstrahieren. Nicht nur in der eben beschriebenen Debatte um Migration, sondern auch in den Debatten um Friday´s for future und Artikel 13, stellt man folgendes fest:


Erstens, Debatten orientieren sich zunehmend mehr an Persönlichkeiten. Greta Thunberg ist in der Debatte um das Klima zum Idol der Umweltschützer und zum Feindbild ihrer Gegner geworden. Das ist sehr kritisch zu sehen, da gerade Greta Thunberg als jemand, der noch nicht volljährig ist, einen gewissen Schutz genießen sollte und es für konstruktive Kritiker schwierig wird, fundiert gegen ihre Position zu argumentieren. Andererseits kann sie leicht dazu genutzt werden, Demonstranten auf moralische Art und Weise zu instrumentalisieren.


Zweitens, Streitparteien verwenden oft Strohmann-Argumente oder andere undifferenzierte, aber simple Argumente, um ihre eigenen Positionen zu stärken: Hört man sich auf der Plattform YouTube mal nach Artikel 13 (hier geht es zur Erklärung des Gesetzes, Ressort Wissen) um, so findet man sehr oft auch Videos, in denen die YouTuber nicht über die eigentliche Reform sprechen, sondern sich über provokante Aussagen der Gegenseite beschweren. Zwar ist es gut, solche Aussagen, gerade wenn sie bewusst etwas zugespitzter und damit pauschaler sind, richtig zu stellen, aber in welcher Weise das geschieht, ist inakzeptabel.


Beispiel: Der EU-Abgeordnete Daniel Caspary der CDU behauptete nach einer Demonstration gegen Artikel 13, dass einige NGOs bis zu 450 Euro für die Teilnahme an der Demonstration gezahlt hätten. Ob das wirklich so ist, ist sehr umstritten. Caspary bezog sich dabei anscheinend auf Reisestipendien, die einigen Menschen ermöglicht wurden, um nach Brüssel zu reisen. Sein Tweet verpackt dies aber auf eine sehr provokante Weise. Wie reagieren nun mache Befürworter von Artikel 13? Laut wird propagiert, die gesamte CDU halte alle Demonstranten für gekauft, deswegen müsse jetzt erst recht weiter dagegen demonstriert werden.


Außerdem versuche die CDU dadurch, demokratische Prozesse zu verhindern. Das ist mindestens genauso falsch und gefährlich wie die ursprüngliche Aussage von Caspary selbst. Die Debatte entfremdet sich zunehmend vom eigentlichen Thema hin zu dem Ausdiskutieren von Provokationen Einzelner und Nebensächlichkeiten. Was dadurch passiert, ist, dass die Extreme einer Position immer mehr in den Vordergrund der medialen Berichterstattung gelangen. Kein Wunder, dass sich die Debatte dann automatisch polarisiert, wenn man sich ständig mit den Extremen der Gegenseite anstatt mit fundierten Positionierungen beschäftigt. Was aus alle diesem resultiert, ist eine sehr polarisierte Debatte, die gleichzeitig in Teilen nicht mehr erkenntnisorientiert ist.


Offene Debattenkultur statt Abstempeln der Gegenseite

Dagegen muss vorgegangen werden: Was unsere Debattenkultur braucht, ist die Aufklärung aller Menschen, sodass Wirkungsweisen, die darauf abzielen, durch falsche Informationen und diffamierende Rhetorik seinen Gegner anzugreifen, nicht mehr massentauglich funktionieren. Wir sollten uns alle daran erinnern, dass eine Debatte in der Demokratie dazu da ist, um gemeinsam die beste Lösung für ein Problem zu erörtern und nicht dazu, dass unsere eigene Position und die Abgrenzung zu anderen Streitparteien uns Identität gibt. Und wir sollten auch für alle Positionen, solange sie innerhalb unserer eigenen demokratischen Werte vertretbar sind, ein offenes Ohr haben, gerade wenn sie nicht dem breiten Meinungskonsens entsprechen. Selber annehmen müssen wir diese Meinungen noch lange nicht, aber dennoch bereichert ein Gehör für sie unseren Meinungspluralismus mehr, als sie einfach abzustempeln.

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