Von Lara Völlings - Die politische Debatte zum Thema Gender ist aktuell emotional aufgeladen. Sollte es nicht eigentlich darum gehen als Gesellschaft einen besseren Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt zu finden?
Wenn man sich die Posts zu „Gender“ von Januar bis September 2021 auf Twitter und Facebook anschaut, stammen dort je 55.9 (Twitter) und 33.5 (Facebook) Prozent der Beiträge von der AFD und 14.3 (Twitter) und 20.2 (Facebook) Prozent der Beiträge von CDU/CSU.1
Aktuell wird die Debatte zum Thema Gender also klar von AFD und CDU/CSU dominiert. Die AFD hat in Bezug auf mehr Rechte für Transmenschen und das Gendern den Neologismus „Gendergaga“ eingeführt, ihre Art uns mitzuteilen, dass sich für eine gerechtere Welt für alle einzusetzen, verrückt und falsch sei. Die CSU hat sich an der Rhetorik aus der USA bedient, und im Zusammenhang von Lesungen von Dragqueens im Juni Kinder instrumentalisiert, um Angst und Hass gegen Dragqueens, geschlechtliche Vielfalt und die Lgbtq+ Community zu schüren.
Auf der einen Seite kann man die Meinungsbildung von Menschen mit insgesamt konservativen Vorstellungen und Überzeugungen verstehen. Man kann sie mithilfe des My-Side-Bias erklären. Aufgrund von einer unterbewussten Voreingenommenheit werden sie die Aussagen, welche ihrem konservativen Weltbild widersprechen, einfach kritischer gegenüberstehen. Zudem werden Menschen mit konservativen Überzeugungen auch bei Thematiken wie der von geschlechtlicher Identität unterbewusst das Gefühl haben ihrem Lager treu bleiben zu müssen, weswegen sie noch stärker an den konservativen Vorstellungen zu Geschlechtern festhalten werden.
Auf der anderen Seite können solche Überzeugungen sehr problematisch werden, wenn sie einerseits nicht auf der Wissenschaft, Fakten und Recherche basieren, und andererseits auch dafür sorgen, dass Menschen nicht respektiert, sondern diskriminiert werden. Überzeugungen, wie dass es nur Frauen und Männer gibt, bei jedem das körperliche Geschlecht mit der eigenen Wahrnehmung übereinstimmt und einem aufgrund des Geschlechts, Verhaltensweisen, die in einer Kultur dafür als typisch oder akzeptabel gelten, zugeschrieben werden sollen, stimmen nicht, und bieten zusätzlich auch eine oft genutzte Begründung für Diskriminierung.
Wenn es um das Thema Geschlecht geht, ist es erstmal wichtig, diesen Begriff zu definieren. Im Deutschen haben wir leider nur einen Begriff, wofür es im Englischen zwei gibt: „Sex“ und „Gender“. „Sex“ bezeichnet den körperlichen Aspekt. „Gender“ bezieht sich auf das Konstrukt, welches unsere Gesellschaft darum gebaut hat. Theresa Reichl fasst dies in ihrem Buch so zusammen: „Also das eine ist, eine Vulva zu haben, und das andere, dass man deshalb unbedingt Rosa, Putzen und Kochen mögen muss und gern weniger Geld verdient als Männer.“2 Mit diesen Begriffen leugnet man nicht jegliche soziale Determination basierend auf dem biologischen Geschlecht, sondern macht die nicht zu unterschätzende Rolle unserer Gesellschaft deutlich, die Natur hat uns zum Beispiel kaum in die Gene gelegt, dass Jungs blau und Mädchen rosa mögen.
Selbst wenn man die Thematik einseitig und nur aus biologischer Perspektive betrachten wollen würde, weshalb auch immer, gibt es Menschen, die sich in unserem binären Geschlechtssystem nicht wiederfinden. Es ist ein Fakt, dass es Menschen gibt, die auf physischer Ebene weder dem männlichem, noch dem weiblichen Geschlecht klar zugeordnet werden können,3 dies kann beispielsweise an Chromosomen, Geschlechtsorganen, Hormonen oder Keimdrüsen liegen, vielen von ihnen wird bei der Geburt trotzdem ein Geschlecht zugeordnet.4 Ich werde diese Menschen im Folgenden als Inter*Personen bezeichnen, weitere gängige Bezeichnungen sind intergeschlechtlich und intersexuell.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass Inter*Personen aus biologischer Perspektive nicht als sowas wie ein drittes Geschlecht angesehen werden, sondern, umgangssprachlich ausgedrückt, als eine Mischung aus männlich und weiblich. Der aktuelle Stand der Wissenschaft ist also, dass es zwei Geschlechter gibt, jedoch mit einem Kontinuum von Variationen in den Bereichen Anatomie und Physiologie. Dagegen stelle ich mich hiermit auch nicht, genauso, wie ich auch auf keinen Fall dafür argumentieren würde, sie als drittes Geschlecht zu betiteln, dies würde schließlich all den komplexen, verschiedensten Schicksalen noch weniger gerecht werden.
Meiner Ansicht nach wird an Inter*Personen leicht klar, dass es sich beim Geschlecht um eine Art Spektrum handelt . Wenn wir uns an den englischen Begriffen orientieren, könnte man sich das vereinfacht so vorstellen, dass „sex“, also der körperliche Aspekt auf der einen Achse und „Gender“, also der gesellschaftliche Aspekt auf der anderen Achse steht. Bei Intergeschlechtlichen fällt hier nicht nur, wo sie körperlich hinpassen, unterschiedlich aus, auch ihre geschlechtliche Identität und Selbstwahrnehmung kann sehr verschieden sein. Es gibt Inter*Personen, die das Geschlecht, welches Ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, akzeptieren.5 Sie könnte man also als cis bezeichnen. Genauso gibt es auch viele Inter*Personen, die sich in der Ihnen zugewiesen Geschlechterrolle nicht wiederfinden und ihr Geschlecht dementsprechend angleichen wollen6, diese würde man als trans bezeichnen.
Das Konzept von Cisgender fasst Juno Dawson so zusammen, „[…] dass man sich mit dem Geschlecht identifiziert, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde […]“7.
Mark Gevissers Definition unterscheidet sich davon leicht, sie lautet, „[…] Menschen, deren Geschlechtsidentität und deren Geschlechtsausdruck mit ihrem Körper kongruent sind, der ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.“8 Es gibt da keine feste Definition an der alle sich orientieren, jedoch gibt es einen Konsens über die Bedeutung des Begriffes. Wenn du dir über das alles hier noch nie Gedanken gemacht hast, bist du höchstwahrscheinlich cis, und ob du dir dessen bewusst bist oder nicht, das ist eine sehr privilegierte Position. Zum Beispiel, weil du dich nie wirklich intensiv mit deinem Geschlecht beschäftigen musstest, weil du keine strukturelle Diskriminierung aufgrund deiner Geschlechtsidentität erfährst und keinen Outing Prozess durchlaufen musstest. Oder musstest du schon mal jemandem sagen, „Hey, ich identifiziere mich übrigens mit meinem biologischen Geschlecht.“?
Wie Dawson bin ich der Überzeugung, dass das Verwenden von Begriffen wie cis und trans passender ist als „normal“ zu sagen9, denn es grenzt nicht aus, sondern benennt einfach was da ist und beschreibt es ohne eine Option auf und die andere abzuwerten. Trans kann als Überbegriff verwendet werden, der alle Menschen einschließt, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, welches Ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde. Diese Menschen können sich als weiblich, männlich, eine Mischung oder keins von beiden identifizieren. Dafür gibt es je nachdem verschiedene Bezeichnungen, wie zum Beispiel Nicht-binär, Agender, Genderqueer oder einfach transgender. Wie Gevisser finde ich es wichtig, die Bezeichnungen zu verwenden, die diese Person verwendet und mit denen sie sich wohlfühlt10.
In Psychologie und der Medizin begegnen uns Begriffe wie Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie um Transmenschen zu diagnostizieren. Diese Diagnosen können auch ohne soziale Ausgrenzung einen hohen Leidensdruck mit sich bringen. Ob ihr es glaubt oder nicht, mit falschen Pronomen angesprochen zu werden, die nicht zu dem passen, wie man sich selbst sieht und ein erschwerter Zugang zu Gender Affirming Care, machen es nicht besser.
Diskriminierung ist moralisch verwerflich. Gewagte These, ich weiß. Und: Transfeindlichkeit ist Diskriminierung, sie äußert sich durch Abneigung, Feindseligkeit, Vorurteile und/oder Gewalt gegenüber trans Personen. Und wir dürfen einfach nicht vergessen, dass es keinerlei Rechtfertigung gibt Menschen, deren geschlechtliche Identität unserer bisherigen Norm nicht entspricht, in irgendeiner Art und Weise schlechter zu behandeln. Sie als verhältnismäßig große Gefahr darzustellen ist absolut und grundlegend falsch. Tatsächlich geht es oft erstmal nur um Aufklärung. Das schafft eine Minderheit nicht alleine; sie braucht dafür Verbündete, also Menschen, die für sie einstehen. Die ermöglichen, dass bald alle wissen, was es bedeutet eine Inter*Person zu sein. Die gegen Stereotype11, Klischees12 und Vorurteile angehen und so gegen Transphobie vorgehen.
Der Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt fordert und benötigt Gesetze. Aber es ist auch ein gesellschaftliches Problem, bei dem jeder und jede Einzelne, dich lesende Person eingeschlossen, sich an seine Nase fassen sollte; also in sich die Veränderung umsetzen, die wir in unserer Gesellschaft so dringend brauchen. Das kann heißen: seine unterbewussten Vorurteile zu hinterfragen, sich zu informieren, aufzuklären und in Situationen, in denen man Diskriminierung mitkriegt nicht blind zu zuschauen, sondern aktiv zu werden. Sei du die Person, bei der keiner Zweifel hat, dass man sich ihr anvertrauen kann. Sei du die Person, die zuhört ohne zu urteilen. Sei du die Person, die empathisch ist. Das heißt nicht, dass du alles sofort verstanden haben musst. Es heißt, dass du Menschen respektierst und so annimmst wie sie sind.
In meinem Traum verzichten wir auf Gender-Reveal Partys, wir machen dem Jungen im Rock ein Kompliment und fragen selbstverständlich nach Pronomen. Nenn mich naiv, aber ich denke Veränderung ist machbar. Keine Frage!
Die Frage ist: Machst du mit?
1Vgl. Barthels, I.: Der Genderwahn der AfD, 17. September 2021, in : Der Genderwahn der AfD | Tagesspiegel [02.12.2023]
2Reichl, T.: Muss ich das gelesen haben? Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern, 2. Aufl. Innsbruck-Wien, 2023, S.83f.
3Vgl. Dawson, J.: How to Be Gay. Alles über Coming-out, Sex, Gender und Liebe, übers. v. Oldenburg, V., FISCHER Kinder- und Jugendbuch Verlag E-Book, 2015, S.46
4 Vgl. Reichl, T.: Muss ich das gelesen haben? Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern, S.84
5Vgl. Dawson, J.: How to Be Gay. Alles über Coming-out, Sex, Gender und Liebe, S.46
6Vgl. ebd.
7 a. a. O. S.47.
8 Gevisser, M.: Die pinke Linie: Weltweite Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität, übers. v. Dierlamm, H. u. Schlatterer, H., Suhrkamp Verlag, 2021, S.8
9 Vgl. Dawson, J.: How to Be Gay. Alles über Coming-out, Sex, Gender und Liebe, übers. v. Oldenburg, V., FISCHER Kinder- und Jugendbuch Verlag E-Book, 2015, S.47
10 Vgl. Gevisser, M.: Die pinke Linie: Weltweite Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität,S.8f.
11Vgl. Dawson, J.: How to Be Gay. Alles über Coming-out, Sex, Gender und Liebe, übers. v. Oldenburg, V., FISCHER Kinder- und Jugendbuch Verlag E-Book, 2015, S.67ff.
12 Vgl. a. a. O. S.59ff.
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