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Wie geht es weiter nach Corona?

Von Carlotta Bührmann - Kann in einer Krise, die die wirtschaftliche Existenz Hundertausender bedroht, von einer willkommenen "Auszeit" gesprochen werden? Erfahren die gerade systemrelevanten Berufe zukünftig mehr als nur Anerkennung? Und: Werden wir uns noch die Hände schütteln? Die Corona-Krise wirft einige große und viele kleine Fragen auf.



„Social distancing“, „flatten the curve“, “stay home”, jeder von uns ist mittlerweile mit diesen Begriffen vertraut und nach mehreren Wochen des Ausnahmezustands in Deutschland legt sich eine gewisse Routine über die Situation. Die Maßnahmen scheinen zu greifen und man passt sich an, keine Partys, keine Verabredungen in Gruppen, keine Café-, Restaurant-, oder Kinobesuche. Man verlässt das Haus nach Möglichkeit nicht.


Im Hier und Jetzt hat fast jeder verstanden, was zu tun ist, das Sozialleben hat sich grundlegend verändert und es scheint für einige vorerst sogar ganz angenehm. Viele sprechen von einer „Chance“, einer „Atempause“, man habe „endlich einmal Zeit für sich selbst“. Aussagen, die von einem großen Privileg zeugen: Was es tatsächlich bedeutet, sich leisten zu können, Wochen, wahrscheinlich Monate lang das Leben, wie wir es gewohnt sind, auf ein Minimum zu reduzieren und gleichzeitig von einer Chance zu reden, ist vielen von uns kaum bewusst.


Wir hier in Deutschland gehören wohl zu den Privilegiertesten in dieser Krise. Wir verfügen über eine verhältnismäßig hohe Anzahl an Intensivbetten, haben eine starke Wirtschaft und vor allem einen Sozialstaat im Rücken, der das Schlimmste auffängt. Andere, ärmere Länder mit weniger guter Infrastruktur werden mit ganz anderen Aufgaben konfrontiert werden, viele Menschen werden nicht an Covid-19 sterben, sondern an den gesellschaftlichen Folgen, an Jobverlusten, an Armut, an Versorgungsengpässen.


Wir haben das Privileg, zuhause zu bleiben, das Privileg, diese Pandemie zu bekämpfen. Trotz allem, auch hier in Deutschland werden Menschen ihr Existenzgrundlage verlieren, auch hier werden Menschen sterben, die nicht hätten sterben müssen und auch hier wird Covid-19 seine Spuren hinterlassen. Die Welt nach Corona wird nicht dieselbe sein wie davor, Deutschland wird da keinen Ausnahme bilden.


Vor diesem Hintergrund von einer besseren Welt zu sprechen, ist fast schon zynisch.


Aber wie genau wird die Zukunft aussehen? Das ist eine der größten Ängste, die uns Deutsche zurzeit umtreiben. Gerade wir, die wir an Organisation und Sicherheit gewöhnt sind, sind betroffen von der Angst, welche das Ungewisse mit sich bringt. Wird Corona die Welt verbessern, oder verschlechtern? Eine Frage, die im Auge des Betrachters liegt, und wieder einmal Privilegien ausdrückt. Fakt ist, viele Menschen in den sogenannten "Dritte-Welt-Ländern" werden an dieser Pandemie sterben. Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen von einer besseren Welt zu sprechen, ist fast schon zynisch.


Doch auch wir werden die Auswirkungen hart zu spüren bekommen, die Wirtschaft leidet jetzt schon stark und besonders kleine und lokale Unternehmen werden es schwer, haben die Pandemie zu überleben. Wer letzten Endes profitieren wird, sind die Online-Anbieter und großen Ketten. Vielleicht wird nach Corona vieles nicht mehr so selbstverständlich sein, billig Fliegen zum Beispiel. Nicht jedes Lieblings-Café, jeder Club oder jede Bar wird sich gehalten haben. Man wird vielleicht nicht mehr so einfach in den Urlaub fahren können und Reisen wird teurer werden. Es wird einen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben und Lebensmittel könnten vorerst, z.B. aufgrund des Mangels an Erntehelfern, teurer werden.


Vielleicht wird sich auch die soziale Distanz halten. Ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg werden sich bestimmte Verhaltens- oder Denkweisen in der Gesellschaft manifestieren. Wann schwindet die neue Angewohnheit anderen Menschen im Supermarkt auszuweichen? Wird man sich nach der Pandemie genauso herzlich begegnen wie davor? Oder werden Umarmungen und Handschläge seltener? Bleibt vielleicht der „Ellenbogenschlag“? Auch dies sind Dinge, die an der Dauer und der noch auf uns zukommenden Härte der Pandemie liegen werden.


Unsere Generation hat noch nie einen solchen Ausnahmezustand erlebt


Doch wir werden ohne Zweifel aus dieser Situation lernen können, wir werden aus ihr lernen müssen. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg herrscht ein Zustand, welcher das gesellschaftliche und auch private Leben in Gänze einschränkt. Unsere Generation, und die unserer Eltern, sofern diese in Deutschland aufgewachsen sind, haben noch nie einen solchen Ausnahmezustand erlebt, keine Situation, die man gemeinschaftlich überstehen und bewältigen muss.


Vielleicht schafft die Corona-Krise uns Dankbarkeit zu lehren, ein stärkeres Bewusstsein für die Selbstverständlichkeit, mit der wir leben. Viele Dinge die für eine westliche, sozial geprägte Gesellschaft selbstverständlich schienen, sind jetzt nicht mehr ganz so selbstverständlich. Jedes Lebensmittel einfach so zu bekommen, zum Arzt gehen zu können ohne jegliche Einschränkungen, in Cafés, Bars und Restaurants zu gehen, Freunde und Verwandte zu treffen, zu gehen wohin und wann man will. Dass uns dies in diesen Tagen nicht mehr möglich ist, wird einen Eindruck hinterlassen. Wir lernen, die Privilegien, die wir haben, auch als solche zu erkennen und stärker zu schätzen. Tatsächlich wird wohl kaum ein Schüler den altbekannten Lehrer-Spruch „Ihr könnt froh sein, dass ihr zur Schule gehen dürft“ jetzt nicht stärker zu schätzen wissen.


Unsere Strukturen und gesellschaftlichen Gewissheiten geben uns Halt und nehmen uns die Aufgabe, sich um die Zukunft sorgen zu müssen. Jetzt, wo wir dies nicht mehr haben, erlangen wir ein Stück Autonomität zurück. Zu erleben, dass die Gewohnheiten und das Leben, wie wir es kennen, nicht immer ohne Hürden verlaufen wird, ist eine Erfahrung, welche unserer Generation gefehlt hat. Wird diese Situation auch bis ins Persönliche vordringen, so stärkt es jeden Einzelnen. Zu wissen, wie schnell sich an eine Situation, an einen Ausnahmezustand angepasst werden kann, zeigt uns unsere Stärke und Flexibilität.


Gerade wir jungen Menschen werden immer wieder in unserem Leben und in unserer nahen Zukunft auf Situationen stoßen, in denen wir nicht wissen, was zu tun ist, in denen wir uns an Ungewohntes anpassen und manchmal einem Gemeinwohl unterordnen müssen. Nicht nur privat wird die Corona-Krise Fragen aufwerfen, auch gesellschaftlich und politisch. Zu sehen wie gut unser Staat uns durch diese Krise leitet, wie schnell gehandelt wurde und wie der Sozialstaat auch in solchen Zeiten greift, stärkt vielleicht die politische Moral und wirkt dem Politikverdruss entgegen.


Pflegekräfte, Supermarktangestellte, Paketdienste oder LKW-Fahrer halten unsere Gesellschaft zurzeit am Laufen


Doch auch die systematischen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft werden hoffentlich nach der Corona-Krise mehr Gehör finden. Zu sehen, auf welche Berufsfelder während der Pandemie vertraut werden muss, wer nun das Rückgrat der Gesellschaft bildet, sollte Fragen von Gerechtigkeit und Repräsentation aufwerfen. Pflegekräfte, Supermarktangestellte, Paketdienste oder LKW-Fahrer halten unsere Gesellschaft zurzeit am Laufen, gehören jedoch allesamt dem Billiglohnsektor an. Jetzt schon erhalten sie mehr Anerkennung, doch nach der Anerkennung folgt hoffentlich auch bessere Bezahlung, bessere Arbeitsverhältnisse und mehr Attraktivität für solche Berufe.


Corona wird seine Spuren hinterlassen. Es werden viele sterben und die Frage, ob der Tod einiger, oder vieler, hätte verhindert werden können, wird bleiben. Doch die Gesellschaft wird sich auch ändern, die Menschen werden neue, oder früher einmal dagewesene Denkmuster wieder erlernen. Was genau passieren wird und wie die Welt nach Corona aussehen wird, das kann zur Zeit niemand sagen. Doch wie sehr wir als Gesellschaft bereit sind, von Corona zu lernen, wird bei uns liegen.

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