Von Johanna Tapper - Selten waren Experten so gefragt wie in dieser Krise - gut so! Trotzdem kann die Wissenschaft die Politik übernehmen. Teil 3 aus der Kolumne "Krisensitzung".

Direkt neben Donald Trump vergräbt der Immunologe Dr. Anthony Fauci bei einer Pressekonferenz das Gesicht in den Händen, in Deutschland informiert der Virologe Christian Drosten täglich über neue Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung und in Schweden wird der Epidemiologe Anders Tegnell für den politischen Sonderweg seines Landes verantwortlich gemacht. Neben den Präsidenten, Kanzlern und Gesundheitsministern wird zunehmend eine weitere berufliche Gattung prominent: Die Forscher und Wissenschaftler, sie erscheinen in allen Medien und müssen scheinbar mehr als je zuvor in ihrer Berufung in der Politikberatung aktiv werden.
Plötzlich befinden wir uns in einer Situation, in der wir Bürger und die Politiker kaum auf Lebenserfahrung, Allgemeinbildung oder wissenschaftliche Datenerfassungen zurückgreifen müssen. Die Wirtschaft, das Gesundheitswesen, die Politik, schlicht gesagt unsere gesamte Gesellschaftsordnung ist auf die Worte derjenigen fixiert, die am schnellsten mit neuen Erfahrungen in Berührung kommen: den Studienschreibern und Datensammlern. So lässt sich erklären, weshalb gerade in Ausnahmesituationen die Wissenschaft so überdurchschnittlich präsent wird.
Einerseits ist dieses Aufkommen erfreulich, bedeutet es doch die freudige Erkenntnis, wie sehr wie in unserer Entscheidungsfindung und Debattenkultur von validen Daten abhängen. Entwickeln könnte sich daraus langfristig ein neuer Respekt und eine neue Faszination gegenüber wissenschaftlicher Arbeit, ein Berufszweig, der in der öffentlichen Repräsentation im Vergleich zu beispielsweise Musik und Politik doch eher den Kürzeren zieht. Mehr wissenschaftliche Stimmen und weniger schmissige Parolen, das könnte in Zukunft doch auch in Sachen Klima- und Migrationspolitik Früchte tragen.
Doch gerade wenn es darum geht, wissenschaftliche Erkenntnisse medial zu präsentieren, zeigen sich auch große Herausforderungen auf: die hochkomplexen Forschungen laufen Gefahr, im Rahmen eines normalen Zeitungsartikels mit breiter gesellschaftlicher Zielgruppe vereinfacht oder als Interpretationen zu politischem Agieren missverstanden zu werden. Denn: durch ein paar genesene Corona-Patienten, die mit einem Ebola-Medikament behandelt wurden, ist noch lange kein verlässliches Heilungsmöglichkeit in Aussicht gestellt. Studien sind unterschiedlich aussagekräftig, unterschiedlich repräsentativ und, nicht zu vergessen, auch unterschiedlich interpretierbar.
Kein Wissenschaftler sollte in der Position sein, seine gesammelten wissenschaftlichen Daten auf eine politische Entscheidung hin zu interpretieren. Wissenschaftler haben weder ein politisches Amt inne noch werden sie durch die Mechanismen der Gewaltenverschränkung kontrolliert. Die Macht der Wissenschaft ist grundsteinlegend, aber auch hintergründig. Sie tritt selten mit der Prominenz und Personifikation in die Politik ein, wie sie es gerade jetzt in den Medien erfährt. Mit anderen Worten: Wissenschaft ist keine Politik.
Jetzt schon sollte sich jeder von der Vorstellung verabschieden, der Forschung wäre, jetzt oder in der Zukunft, irgendeine Verantwortung für politische Entscheidungen zuzutragen. Beibehalten sollten wir lieber die Anerkennung für die Wichtigkeit der Forschung und das Verständnis für ihre komplexe Methodik.
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