Von Johanna Tapper - Die Pandemie gehört zu den größten weltweiten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Während bei früheren Umwälzungen aber die Menschen auf die Straße gingen, besteht das Heroische heute im heute im Zuhausebleiben. Ein merkwürdiges Gefühl. Der zweite Teil aus der Kolumne "Krisensitzung".
Ich gebe es zu: ich stand am Sonntagabend nicht um 19 Uhr auf dem Balkon und habe für das Klinikpersonal geklatscht. Ich habe auch nicht die Ode an die Freude gespielt, wie von Musikern aus aller Welt in sozialen Netzwerken aufgerufen wurde. Nach fast drei Wochen Schulausfall, Ausgangsbeschränkungen und täglich steigenden Todeszahlen bin ich nicht mehr wirklich so optimistisch, dass das noch etwas bewirken soll.
Die Corona Epidemie wird in ihrer Folgenschwere schon jetzt mit dem Jahrhundertereignissen wie dem Mauerfall gleichgesetzt. Doch sie live zu erleben, fühlt sich ehrlich gesagt erstmal gar nicht mal so bedeutsam an. Letztendlich werden wir in dieser einschneidenden Krise vor allem auf dem Sofa gelegen, gelesen und Streaming-Anbietern Geld vor die Füße geschüttet haben.
Sicher, das öffentliche Leben ist bis auf Weiteres ausgesetzt, persönliche Sorgen über Freunde und Familienangehörige vermischen sich mich wirtschaftlichen Existenzängsten und zerstörten Zukunftsplänen. Ich meine, Mehl und Hefe fehlen jetzt in den Supermärkten! Die Erfahrung, die dem für mich bisher am nächsten kam, war das Lesen eines Klaus Kordon Romans, der in der Nachkriegszeit spielte. Wir sehen die grausamen und menschenunwürdigen Zustände in China, Spanien und Italien im Fernsehen, verfolgen die aktuellen Meldungen wie nie zuvor und müssen von heute auf morgen unseren Alltag neu strukturieren. Aber fühlt sich das an wie ein Jahrhundertereignis?
Bei mir zu Hause wechseln wir uns in der Nachbarschaft mit Gruppeneinkäufen ab, damit möglichst wenig Menschen in die Lebensmittelgeschäfte müssen. Wir bestellen regelmäßig Essen und Kuchen bei regionalen kleinen Gastronomiebetrieben und Bücher bei heimischen Buchhandlungen. Ich habe Livestreams von Comedians und Benefizwohnzimmerkonzerte von Musikern angeschaut. Und das soll alles an leistbarer Hilfe sein?
Es ist nicht so, dass ich nicht bereit wäre, mehr zu helfen: Ich habe eine E-Mail an die Gemeinde geschrieben, mit der Nachfrage ob schon Einkaufsdienste für Senioren organisiert werden. Eine sehr freundliche Antwort, es gäbe eine Liste, bräuchten sie noch Hilfe würden sie sich melden. Bis heute besteht jedoch scheinbar noch kein Bedarf. Ich wollte behelfsmäßige Atemmasken nähen, unsere alte Nähmaschine hat den Geist aufgegeben, Reparaturdienste haben keine Kapazitäten. Meine Urgroßmutter ist im Altenheim und normalerweise tägliche Besuche ihrer Familie gewohnt. Telefonieren versteht sie in ihrer Demenz nicht mehr, Anrufe fallen also ebenfalls weg. Und wenn sich die ganze Familie in den Innenhof stellt und ein Lied singt? Wenn man ein Video aufnehmen und es auf einen Altenheimcomputer schicken würde, sodass die Pfleger es ihr zeigen könnten? Davon würde sie leider eher abraten, so eine Pflegerin. Gerade bei Demenzkranken könnten solche ungewohnten Reize eher für Verwirrung und Unruhe sorgen.
Es ist wohl weniger die Tatsache, dass wir alle nicht unter der Corona-Krise leiden würden, als dass uns die Aussicht darauf fehlt, etwas dagegen bewegen zu können. Keine „Wir-sind-das-Volk-Rufe“, keine Demonstrationen, keine Feuerwerke. Wir können keine Helden spielen. Wir können nichts tun, als die Einschränkungen und Belastungen zu ertragen. Das Gefühl der Ohnmacht und der Unwirksamkeit belastet genauso wie die Angst vor der Krankheit an sich.
Es ist eigentlich ein gutes Zeichen, dass durch kleine Impulse die Gesellschaft doch trotz allem wenigstens am Laufen bleibt. Dass es schon ausreicht, wenn jeder kleine Veränderungen tätigt. Und vielleicht ist es auch das größte Luxusproblem von allen, das schlechte Gewissen, zu ohnmächtig gegen die Krise zu sein.
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