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Rechtsstaat ade!

Aktualisiert: 11. Juli 2020

Gebannt erwartet die Welt die US-Präsidentschaftswahlen im November. Doch jetzt schon bestimmen unsere Nachbarn, die Polen, ihren neuen Präsidenten und die Wahl könnte spannender nicht sein. Was diese Wahl so besonders macht und wieso sie das Ende des polnischen Rechtsstaates bedeuten könnte, erklärt euch Nico Knoppik.




Während der wohl größte polnische Komponist und Pianist Frederic Chopin für die Sanftheit seiner Meisterwerke bekannt ist, kann sich (Noch-)Präsident Andrzej Duda nicht mit leisen Tönen rühmen. Ganz im Sinne der Partei für die er als Präsidentschaftskandidat antritt hetzt er als ob es kein Morgen gäbe. Dabei sind die Gegner vielfältig. Mal sind es die Kommunisten, mal die Homosexuellen und ein andermal die gesamte „linksversiffte“ EU mit der deutschen Kanzlerin an ihrer Spitze. Die von der regierenden PiS-Partei betriebene Politik hat aber wohl zur Folge, dass eingeschweißte Europäer und Demokraten allmählich Chopins Walzer in

As Dur, den Abschiedswalzer, anstimmen müssen. Denn es wird Zeit Abschied zu nehmen, Abschied von der polnischen Rechtsstaatlichkeit.

Das heißt konkret: Freiheiten für die die „Solidarność“-Bewegung während der kommunistischen Ära in Polen gekämpft und so einen beispiellosen Demokratisierungsprozess angestoßen hat, der schon bald auch andere Staaten unter kommunistischen Regimen inspirierte, werden ohne Reue auf die Müllhalde geschafft.


Überraschend gerät Duda nun aber in Bredouille. Die erste, lange Zeit als bereits gewonnen angesehene Wahlgang endete mit einer Schlappe für PiS-Verhältnisse. Die angestrebte absolute Mehrheit wurde mit 42 % deutlich verfehlt. Noch ärgerlicher mögen für Duda und die restliche Parteiführung wohl nur die sehr guten Wahlergebnisse Rafał Traszkowkis sein. Der Kandidat der „Bürgerplattform“ erzielte mit etwa 30 % ein weitaus höheres Wahlergebnis, als der ursprünglichen Oppositionskandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska zugetraut wurde. Für Duda bedeutet dies nun, dass er sich in einem zweiten Wahlgang bei einer Stichwahl gegen Trzaskowski behaupten muss, die der Prognosen nach zu einem wirklichen Kopf-an-Kopf-Rennen werden könnte.

Das ist aber keineswegs verblüffend, stellt diese Stichwahl doch heraus wie uneins sich das polnische Volk hinsichtlich ihrer politischen Gesinnung ist. Die tiefe polnische Spaltung in einer Nussschale sozusagen. Dabei kämpfen urbane Eliten in den Städten im Westen des Landes gegen die ärmliche Bevölkerung im Osten, die sich bevormundet fühlt. Frömmler kämpfen gegen Kirchenkritiker. Während Trzaskowski in Warschau als derzeitiger Bürgermeister eine LGBT-Charta unterschrieb, die dem Schutz von sexuellen Minderheiten dienen soll, bezeichnet Duda die „LGBT-Ideologie“ als „dekonstruktiver als den Kommunismus“ und erwägt es nicht einmal gegen „LGBT-freie Zonen“, die durch Gemeinden im Osten Polens errichtet wurden, vorzugehen. Das Thema des Umgangs mit sexuellen Minderheiten wird durch Duda also bei einem sonst eher substanzlosen Wahlkampf aufs Tapet gebracht, wobei er im Sinne vieler konservativer Polen handelt.


Unterstützt wird Duda dabei auch von Pressestimmen. Objektive Berichterstattung flimmerte schon lange nicht mehr auf den Bildschirmen der Polen, zumindest nicht was den staatlichen Fernsehsender TVP angeht. Hätte man doch gedacht Staatsfernsehen und waschechte Propaganda wären in Europa Geschichte, belehrt das Beispiel Polens einen vom Gegenteil. Tag ein Tag aus aufs Neue werden die fabelhaften letzten Jahre unter der PiS-Regierung in den Himmel gelobt. Es wird das Ammenmärchen erzählt das neu eingeführte Kindergeld „500+“ hätte Wohlstand für alle gebracht. Dies geschieht stets in Abgrenzung zum Ausland, das durch Werteverlust gekennzeichnet wird. Eine große Rolle dabei spielt die vorherrschende Furcht vor der Fremdbestimmung. Geprägt durch eine Geschichte deren großer Teil durch Perioden der Besatzung fassoniert wird, gewinnt die Separation von der EU und den europäischen Nachbarn generell an Bedeutung.

Als wäre das alles nicht fatal genug, hebelt die PiS zunehmend die Trennung von Legislative und Judikative aus. Mit einer Justizreform ermöglicht die Partei so jegliche Richter, die sich parteikritisch äußern, durch einfache Mechanismen des Amtes zu entheben. Entgegen massiver Kritik von Seiten des Obergerichtes und sogar der EU-Kommission hat die PiS weiterhin ihr Gesetzesvorhaben in Kraft treten lassen, zur Not trotz eines Verfassungsbruchs. Duda wird in diesem Zusammenhang häufig mit einer Marionette verglichen, die den Anweisungen Kaczynskis, also des Parteivorsitzenden der PiS, blind Folge leistet. Er nimmt sein Vetorecht auch bei Gesetzen, die gegen die Konstitution verstoßen, nicht in Anspruch, während Kaczynski im Hintergrund die Fäden zieht. Die PiS stellt sich durch eine solche Politik klar gegen EU-Recht, das die Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte verlangt.


Es wirkt fast schon paradox, wie die polnische Regierung Polen trotz dessen liebevoll als „Herz Europas“ bezeichnet. Sie schafft es so der EU förmlich auf der Nase herumzutanzen. Europäische Gelder werden mit offenen Armen empfangen, gehört Polen mit Griechenland immerhin zu den größten Empfängern von EU-Geldern. Die Pflichten, die mit einer EU-Mitgliedschaft einhergehen, werden aber getrost vernachlässigt. Egal ob es um die Aufnahme von Flüchtlingen im Zuge der Krise 2015 oder um das Streben nach mehr Umweltschutz geht. Die PiS fährt einen Sonderweg in der europäischen Gemeinschaft, beleidigt die EU gar, indem sie sie mit einer Besatzungsmacht vergleicht. Damit schiebt sie ihr Land in eine nicht existente Opferrolle und lässt Geschichte sich wiederholen.

Die EU antwortet auf einen solchen Affront widerstandslos. Es fehlen ihr tatsächlich auch die politischen Werkzeuge. So macht es das EU-Recht fast unmöglich Länder bei Regelverstößen aus der EU zu schmeißen. Solange den Polen die Unterstützung durch Ungarn gesichert ist, muss die EU also wohl oder übel mit dem Enfant terrible leben. Sowohl eine Kürzung der Gelder, als auch der Stimmentzug ist nur möglich, wenn die Entscheidung darüber einstimmig, heißt mit Hilfe Ungarns, gefällt wird.


Entpuppt sich der Anfangssatz der polnischen Nationalhymne „Noch ist Polen nicht verloren“ also als Lüge? Ist die Demokratie noch zu retten oder befindet sich Polen schon tief in einer Abwärtsspirale in Richtung eines autoritären Regimes? Die Präsidentschaftswahl am 12. Juli könnte nun zur Schicksalswahl werden. Wenn es die Liberalen tatsächlich schaffen sollten mit Trzaskowski als Sieger aus der Wahl zu gehen, könnte er mit seinem Veto die rechtswidrigen Vorhaben der PiS aufhalten und ein Zeichen setzen in einem Europa der prosperierenden Nationalismen. Ach wie schön ist doch der zugegeben zerbrechliche Traum, dass am Sonntag in Warschau eben doch nicht Chopins Abschiedswalzer, sondern enthusiastisch die „Ode an die Freude“ angestimmt wird.

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