Von Katharina Mork - Der Klimawandel ist ein globales Problem über dessen Auswirkungen schon ein großes Bewusstsein in der Gesellschaft herrscht. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel wird ansteigen, Wetterextreme nehmen zu. Was macht das mit uns und wie wirkt es sich auf unser Denken aus?
Freitag, der 17.12.2021 - noch genau zwei Wochen bis zum Jahreswechsel. Schnell ging das Jahr rum, schnell verging die Zeit. Apropos Zeit – wie spät es wohl gerade ist? Ich schaue auf die Uhr, die über der Tür des Klassenzimmers hängt. 11:55 Uhr, es ist fünf vor 12. Was für ein Zufall, denke ich. Da sitze ich an einem Freitagmittag in der Schule – zu einer Zeit, in der vor zwei Jahren wohl mehr SchülerInnen auf der Straße als im Klassenzimmer gewesen wären – und werde mit der wahrscheinlich beliebtesten Aussage eines jeden Klimaaktivisten und Grünen-Politikers konfrontiert: „Es ist fünf vor zwölf!“
Ich schaue auf die Uhr: "Es ist fünf vor zwölf!"
Vor der Corona-Pandemie war es fast normal, dass SchülerInnen freitags während der Schulzeit für den Klimaschutz durch die Straßen zogen, bewaffnet mit Plakaten, auf denen Parolen wie „There is no planet B!“ oder „Wir schwänzen nicht, wir kämpfen!“ standen. Aber auch immer wieder ließ sich auf besagten selbst gebastelten Plakaten die Aussage „Es ist fünf vor zwölf!“ finden. Die Klimauhr tickt – so viel ist sicher! Doch sollten deshalb gleich die Alarmglocken schrillen? Steuern wir unaufhaltsam auf eine Klimaapokalypse zu? Wie steht es wirklich um unsere Erde?
Steuern wir unaufhaltsam auf eine Klimaapokalypse zu?
In der Misconception-Studie der Organisation Gapminder aus dem Jahre 2017 wurden Menschen aus den 14 reichsten Industrieländern 12 simple Fragen über den Zustand unsere Erde gestellt. Eine der zwölf Fragen lautete: „Wie hat sich die Anzahl von Todesfällen, die jährlich durch Naturkatastrophen verursacht werden, in den letzten 100 Jahren verändert?“. In Deutschland entschieden sich 54% der Befragten für die falsche Antwortmöglichkeit A: mehr als verdoppelt. Nur 6% nahmen die richtige Antwortmöglichkeit C: mehr als halbiert. Es kam trotz Verdreifachung der Bevölkerungszahl im selben Zeitraum zu einer Halbierung der Opferzahlen. Ursächlich hierfür ist die höhere Widerstandsfähigkeit des Menschen gegenüber potenziell gefährlichen Naturereignissen, da es beispielsweise Frühwarnsysteme und stabilere Häuser gibt. Hätten jene Befragte mit geschlossenen Augen zufällig ihre Antwort ausgewählt, so hätten sie bei dem Test deutlich besser abgeschnitten und statistisch gesehen jede dritte Frage richtig beantwortet.
Der größte Teil der Menschen geht davon aus, dass die Welt weiter zweigeteilt ist und zudem schlecht(er) ist oder wird. Fakt ist, dass die Menschheit noch nie in einer so hochentwickelten, reichen und friedlichen Welt gelebt hat wie heute. Natürlich muss ohne Zweifel eingestanden werden, dass dieser Wohlstand auf der Industrialisierung und dem damit verbundene Beginn des Kohleausstoßes und der Verbrennung fossiler Brennstoff zur Gewinnung von Energie fußt. Auch sollte nicht vergessen werden, dass immer noch ca. 760 Millionen Menschen (Stand 2018) in extremer Armut leben. Gleichzeitig sollte aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass seit 1990 die Anzahl der in extremer Armut lebender Menschen um 50% zurück ging. Wodurch entsteht dieses negativ verzerrte Bild des Menschen auf die Erde und ihren Zustand?
Haben Sie schon erlebt, dass positive Nachrichten über alle Medien hinweg verbreitet werden – und damit meine ich nicht solche, in denen von irgendeiner Hochzeit einer Königsfamilie berichtet wird?
Eine Schlüsselfigur spielen dabei wie bei vielen anderen Problemen auch die Medien. Und nein, ich spreche hier nicht von der von Querdenkern, Klimaleugnern und anderen Verschwörungstheoretikern und deren gern verwendete Aussage von der „Lügenpresse“! Es geht um harte Fakten und deren Wahrnehmung. Die Digitalisierung führt zu einer besseren medialen Vernetzung, wodurch wir tagtäglich von einer Lawine an Informationen überrollt werden. Hierbei buhlen die Anbieter um ihre Kunden, was den Preis hat, dass sich eine schlechte Nachricht besser verkaufen lässt als eine gute. Folglich verbreiten sich vermehrt katastrophale Nachrichten. Mit nur einem Klick werden wir über Terroranschläge in Mali, politische Konferenzen in New York, aber insbesondere über Katastrophen in Kenntnis gesetzt. Kaum eine Tagesschau vergeht ohne negative Nachrichten. Haben Sie schon erlebt, dass positive Nachrichten über alle Medien hinweg verbreitet werden – und damit meine ich nicht solche, in denen von irgendeiner Hochzeit einer Königsfamilie berichtet wird? Eine andere mediale einseitige Wahrnehmung entsteht dadurch, dass beispielsweise im Fernsehen und Talkshows meist die gleichen vier Klimaforscher zu sehen sind, welche auch gerne davon sprechen, dass es fünf vor zwölf sei.
Fünf vor zwölf, was löst das bei Ihnen aus? Für mich symbolisiert es, dass es „kurz vor knapp ist“. Es rennt einem unaufhaltsam die Zeit davon, wodurch ein Gefühl von Zeitdruck, Stress und Panik ausgelöst wird. Eine solch negative Assoziation und ein negatives Bild von dem Zustand der Erde ist jedoch hinderlich hinsichtlich der Bekämpfung des Klimawandels, da es zur Demotivation führen könnte, nach dem Motto „Wir sterben doch eh alle!“. Immerhin geben laut einer Studie der Nichtregierungsorganisation Avaaz 60% der Menschen zwischen 16 und 25 Jahren an, Angst vor der Zukunft und den Folgen des Klimawandels zu haben. Es greift ein altes biologisches Prinzip. Bei Stress und Angst (Überlebensangst) geht das Gehirn des Menschen in Alarmbereitschaft, der Körper wird auf Angriff oder Flucht vorbereitet. Diejenigen Hirnstrukturen, die für das rationale Denken verantwortlich sind, werden gehemmt. Wer kennt ihn nicht, den Blackout in einer stressigen Prüfungssituation! Das rationale Denken ist erschwert oder unmöglich, wenn wir um das bloße Überleben kämpfen müssen. Der Rationalitätsblick des Menschen kann durch unreflektierten Alarmismus getrübt werden.
In Zeiten des Klimawandels ist rationales und global vernetztes Denken jedoch essenziell, damit es weder zu einer Leugnung der Probleme der Welt noch zu einer Negativverzerrung kommt. Ein fundiertes Bewusstsein für die Probleme dieser Welt und ihre Wurzeln sollte entstehen, damit Lösungen geschaffen werden können. Hierfür ist „eine gehörige Portion Optimismus und Motivation“ erforderlich, damit der benötigte Forschergeist florieren kann, wie der führende Klimaforscher Mojib Latif es in einem Schülerinterview der Liebfrauenschule Oldenburg im Rahmen des Vernetzten Unterrichts am 06.12.2021 sagte. Der Mensch sollte nicht in Angst und Apathie verfallen, sondern in Partizipation aktiv werden, damit wir die Herausforderungen, die durch den Klimawandel entstehen, angehen und meistern können.
Als ich mich aus meinem kleinen Gedankenspiel wieder entfessele, blicke ich nochmals auf die Uhr. Oh nein! Ganze 10 Minuten sind schon verstrichen: Jetzt ist es 12.05 – fünf nach zwölf.
Ein sehr gut recherchierter und sehr überzeugender Text!
Gerade in solchen (Horror-)Zeiten wie den unseren (der Text wurde zwar vor dem Ukraine-Krieg verfasst, aber auch da gab es schon Horror genug, nur irgendwie weiter weg), ist der Hinweis auf Positives mehr als zeitgemäß. "Sterben muss man sowieso" ist ja kein Argument. Nur eine reichlich dämliche Floskel.
Es gibt ein Leben vor dem Tod. Gut so! Machen wir es so bunt und schön wie möglich. Kritisieren wir weiter das Kritikwürdige und zeigen wir uns weiter empfänglich für das Wahre, Gute, Schöne.
STC