Rechtsextremisten hetzen gegen alles Fremde - vor allem "den" Islam. Aber es gibt verblüffende Gemeinsamkeiten von Rechtsextremisten und Islamisten - und sogar ein gemeinsames Feindbild: die offene Gesellschaft.
Nur ein Beispiel vieler Gemeinsamkeiten: der Hass auf Minderheiten, Homosexuelle und Transpersonen.
Rechtspopulismus wird in Deutschland, besonders in den letzten Jahren, erschreckenderweise immer populärer. Dies zeigt sich besonders in kürzlichen Wahlumfragen zur Bundestagswahl, in welchen die AfD zwischenzeitlich mit +4% ein Ergebnis von 26% erzielte. Noch offensichtlicher wird es, wenn man sich die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen anschaut: In Thüringen wird die AfD unter Björn Höcke als gesichert rechtsextrem eingestuft - und gewann die Landtagswahlen dennoch mit rund 32 Prozent!
Diese doch drastische Entwicklung wird häufig ausschließlich mit Protestwählern und der Unbeliebtheit der Ampelregierung relativiert, um von dem eigentlichen Problem und der entstehenden Gefahr abzulenken. Dass nicht nur die Umfragezahlen der AfD steigen, sondern auch das einhergehende Gedankengut, zeigt die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese ergab, dass sich ein rechtsextremes Weltbild in Deutschland von 2014 (2,5% der Befragten) bis 2022/23 (8,3% der Befragten) mehr als verdreifachte. Auch Umfragen zur Befürwortung einer Diktatur und zur Fremdenfeindlichkeit zeigen eine ganz klare Richtung nach rechts.
Natürlich haben die Coronakrise und die niedrige Akzeptanz der Ampelregierung einen Einfluss auf diese Umfragen, was sich besonders in der Entwicklung der Ergebnisse vom Jahr 2020/21 zu den Ergebnissen vom Jahr 2022/23 widerspiegelt. Die in der Bevölkerung aufkommende Frustration verleitet zur Neigung in die Extreme. Diese Entwicklung aber zu verharmlosen und zu ignorieren, könnte nicht nur gefährlich für Ausländer und Menschen anderer Ethnien und Religionen werden, sondern auch für unsere Demokratie. Doch was ist an der Polarisierung und besonders an den aktuellen Entwicklungen in Deutschland so gefährlich?
Diese Polarisierung führt einhergehend mit extremerem Gedankengut und extremerer Einstellung der Menschen zu einer Radikalisierung und somit zu mehr Gewalt mit politisch motiviertem Hintergrund. Besonders wird diese Radikalisierung in den sozialen Medien nach islamistischen Morden deutlich. Mit Slogans wie „Wir haben es immer gewusst!“ drücken Rechtsextreme nicht nur die vermeintliche Bestätigung ihrer Vorurteile aus, sondern verallgemeinern Einzelfälle und reduzieren die Täter häufig auf Herkunft und Religion.
Dies sorgt nicht nur für Bestätigung und somit zur Festigung in der eigenen Gemeinschaft, sondern gewinnt auch viele junge und naive Menschen für die eigene Seite. Und ist man erstmal auf einer Seite festgefahren, ist es schwierig wieder zu einer neutralen und relativ objektiven Meinung zu gelangen. Der kanadische Psychologe und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker bezeichnet dieses Phänomen als „My-Side Bias“. Diese Theorie besagt, dass unsere politischen Überzeugungen unsere Wahrnehmung von Informationen, unabhängig von Intelligenz, Bildung, Geschlecht, Herkunft etc., beeinflussen. Dazu kommt, dass Fakten, welche die eigene Meinung stützen, akzeptiert und verbreitet werden, während Fakten, welche dieser entgegenwirken, ignoriert oder relativiert werden. Diesen Myside-Bias gibt es bei allen politisch interessierten und gerade auch gebildeten Menschen. Bei Extremisten hat er sich zur Ideologie verfestigt.
Ein weiteres Mittel von Rechtsextremisten, mehr Menschen für die eigene Meinung zu gewinnen, ist die Instrumentalisierung von Ängsten. Sie nutzen die Ängste und Unsicherheiten der Bürger aus und instrumentalisieren diese, indem sie zum Beispiel nach islamistischen Morden verallgemeinern, verbreiten, dass alle Muslime Terroristen seien, und somit die Angst vor Ausländern vergrößern. Hierbei geht es aber nicht ausschließlich um die Instrumentalisierung der Ängste, sondern auch darum, ein gemeinsames Feindbild zu schaffen. Solidarisierung aufgrund eines gemeinsamen Feindbildes ist eine Methode, um einen starken Zusammenhalt zu gewinnen.
„Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ Dieses Sprichwort erklärt auch die Reaktion vieler Rechtsextremer, besonders die der Neonazis, auf den Hamas-Israel-Konflikt. Denn viele Rechte und Rechtsextreme stellen sich gegen Israel und relativieren oder verharmlosen die Anschläge der Hamas. Bei den Neonazis ist besonders das Feindbild der Juden verankert, weshalb sie sich mit der Unterstützung der Hamas oder von Palästina generell eine Schwächung von Israel und einhergehend den Juden erhoffen.
Auch der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, äußerte sich auf X (früher Twitter) zu dem Konflikt: „Der Angriff der Hamas auf Israel ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstote. Jetzt müssen die Staaten der Region auf Deeskalation setzen, um einen Flächenbrand abzuwenden. Diplomatie ist das Gebot der Stunde.“ Er spricht sich in diesem Tweet gegen die militärische Verteidigung Israels aus und behauptet, man müsse dieses Problem diplomatisch regeln, und verharmlost somit das Attentat der Hamas: Es entsteht der Eindruck, "beide Seiten" - Israel als Demokratie und Hamas als Terrororganisation - seien irgendwie gleich "schuld" an dem Konflikt. Die Reduzierung der Opfer auf Kriegstote ist hierbei auch perfide: Während des Angriffs der Hamas am 07. Oktober 2023 befanden sich Israel und die Hamas nicht im Krieg - der Großteil der Opfer waren Zivilisten: Frauen, Kinder, alte Männer, aber keine Soldaten im Einsatz. Zwar gab es auf den Post viel Kritik und auch innerparteiliche Konflikte aufgrund der der Relativierung islamistischen Terrors, dennoch gab es aber auch Zuspruch und Unterstützung.
Aber wie kommt es zu der Annäherung zwischen Rechten bzw. Rechtsextremen und deren vermeintlichem Feindbild der Islamisten?
Eine Gemeinsamkeit beider Extreme, welche auch essenziell für die Annäherung ist, ist das „Anti-Establishment-Gefühl“. Sowohl Islamisten als auch Rechtsextreme fühlen sich ausgeschlossen und vernachlässigt sowohl von der Gesellschaft als auch von der Regierung. Beide Parteien sehen sich als „Globalisierungsverlierer“, was ein Widerstandsbedürfnis gegen das derzeitige ökonomische und politische System erzeugt. „Beide haben diese Vorstellung, sie würden von fremden Mächten kontrolliert, unterdrückt und müssten sich davor schützen“, so die Extremismusforscherin Julia Ebner in einem Interview mit dem Deutschlandrundfunk . Diese Vorstellung reicht so weit, dass viele Extremisten „apokalyptische Visionen und Vorstellungen“ haben und als einziges Mittel zur Rettung einen „Krieg der Kulturen“ sehen.
Eine weitere Gemeinsamkeit sind die Methoden und die Motivation im Handeln. Islamisten als auch Rechtsextremisten versuchen ihre Randideologien zu normalisieren, um somit nicht mehr als Randgruppe abgestempelt zu werden. Extremisten und politische Randgruppen, wozu sowohl Islamisten als auch Rechtsextreme zählen, werden häufig als unzurechnungsfähig und nicht kooperationsfähig angesehen, weshalb es ihr Ziel ist, diesen Ruf zu verlieren. Die Motivation, einer solchen Gruppe anzugehören, ist zwar individuell verschieden, aber trotzdem zeigen sich auch hier Parallelen. Häufig bieten diese extremen Bubbles ein sehr starkes Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl und verleihen zudem den Dazugehörigen eine neue Identitätsform und ein „Heldentum“ in einem Kreis von Gleichgesinnten.
Neben den gemeinsamen Methoden und Inspirationen sind es aber die gemeinsamen politischen Interessen, welche letztendlich ein praktisches Zusammenarbeiten ermöglichen, das nicht nur auf theoretischen Parallelen beruht. Besonders das Männer- und Frauenbild sieht sich hierbei sehr ähnlich. Sowohl Rechtsextremisten als auch Islamisten sehen den Mann als übergeordnet und sehr stark an, er kommt für das Geld und den Unterhalt auf. Die Frau wird als eher unterwürfig und untergeordnet angesehen und sorgt sich nach den Ideologien um den Haushalt und die Familie - und den Nachwuchs zukünftiger "Krieger".
Auch das gemeinsame Feindbild der linken Parteien verbindet die beiden politischen Randgruppen und gibt ihnen einen Grund sich zu verbünden. Dazu kommt das gemeinsame Interesse eines autoritären Staates mit klaren Hierarchien und Führungspersonen. Hierbei ist aber wichtig, dass die Hierarchien und Vorstellungen der Politik völlig verschieden sind und nur die erwünschte Staatsform sich sehr ähnelt: Während Rechtsextremisten sich auf die Gemeinschaft des reinen Volkes berufen, beziehen sich Islamisten auf die Gemeinschaft des reinen Glaubens.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Rechtsextremisten und Islamisten sich in einigen Belangen ähnlich sind. Besonders in der Methodik und der Art zu handeln sind hier klare Parallelen vorzufinden, aber auch das gemeinsame Feindbild - die offene Gesellschaft - ist hier zu nennen. In Teilen des AfD-Milieus streitet man bereits darüber, ob man "den" Islam nicht sogar als Verbündeten im Kampf gegen die dekadente Moderne, gegen den "Genderwahn" und "Multikulti" ansehen sollte. Natürlich sind diese beiden politischen Randgruppen, besonders in Bezug auf ihre Menschenbilder, ihre Ideologien und ihre politischen Grundsätze immer noch stark unterschiedlich und es wäre falsch, sie als gleich zu bezeichnen.
Dennoch weisen die beiden vermeintlichen Gegenteile, entgegen der Intuition, erstaunlich viele Gemeinsamkeiten auf, was besonders in Bezug auf den Hamas-Israel-Konflikt und ihren Antisemitismus noch Einfluss auf die Entwicklung beider Extreme haben könnte.
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