Von Neele Heinke - Das Thema Krieg, Flucht und Migration wieder ganz aktuell - für Oldenburg aber alles andere als unbekannt.
Rund 200.000 Vertriebene kamen während und nach dem Zweiten Weltkrieg ins Oldenburger Land.
Foto: Archiwum Panstowe, Wroclaw / Breslau
Flüchtlinge sind ein Thema, das bereits sehr lange in unserer Gesellschaft präsent ist und mindestens genauso lange Menschen verunsichert. Dabei gibt es immer wieder Zeiten, in denen es sichtbarer ist. Fest steht allerdings, dass die Geflüchteten aus der Ukraine oder die Flüchtlingswelle 2015 nicht erst ein Phänomen der letzten Jahre sind.
Auch in 1990er Jahren beantragten Hunderttausende Geflüchtete aufgrund der Jugoslawien- bzw. Balkankriege in Deutschland Asyl. Obwohl anzunehmen ist, dass viele Ukrainer*innen nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zurückkehren möchten, musste und muss Deutschland ebenfalls Integrationsarbeit leisten. Dies war wahrscheinlich in den 1990er Jahren und 2015 relevanter, da hier die Mehrheit der Geflüchteten beabsichtigte, in Deutschland zu bleiben, nichtsdestotrotz ist es in allen Fällen eine ernstzunehmende Aufgabe.
Nicht selten kam es in der Vergangenheit zu Übergriffen auf Flüchtlingsheime und auch auf Flüchtlinge selbst und in Teilen kam Angst und Unsicherheit auf. Es gab und gibt zwar auch immer große Hilfsbereitschaft und viele ehrenamtlich engagierte Bürger*innen, allerdings auch Zweifel, ob man die Herausforderung als Staat und Gesellschaft bewältigen könne.
Ich möchte an dieser Stelle für mehr Optimismus plädieren. Deutschland im Allgemeinen und Oldenburg im Kleinen haben bereits ganz andere Herausforderungen gemeistert, was man sich vor Augen führen muss, um zu sehen wozu wir als Gesellschaft wirklich in der Lage sind.
Ich spreche von den sogenannten „Ostflüchtlingen“ am Ende des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit.
Während des und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bis 1947 schätzungsweise 16,8 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertrieben oder flüchteten aus diesen Gebieten. Diese Menschen mussten Aufnahme in Westdeutschland, Österreich sowie in der sowjetischen Besatzungszone finden, wobei ihnen jedoch häufig mit Ausgrenzung und Diskriminierung begegnet wurde.
Dabei handelte es sich um durchaus bedeutsame Zahlen, in einigen Gebieten verdoppelte sich die Bevölkerungszahl sogar. Auch nach Oldenburg kamen viele Ostgeflüchtete. 36.000 Menschen wurden der Stadt zugeteilt, wodurch die Bevölkerungszahl von 95.000 auf 130.000 Menschen kletterte. Der Grund dafür war die Tatsache, dass Oldenburg im Zweiten Weltkrieg wenig bis gar nicht bombardiert worden war. Waren Städte wie Berlin oder Dresden fast völlig zerstört, besaß Oldenburg eine, bis auf wenige Ausnahmen, intakte Infrastruktur.
Doch auch wenn es Oldenburg verglichen mit anderen Städten gut ging, war die Nachkriegszeit stark von Mangel geprägt. Politische Instabilität herrschte, da viele Würdenträger der Nationalsozialisten ersetzt werden mussten. Viele Bürger*innen Oldenburgs waren den britischen Besatzungstruppen zudem kritisch oder feindlich eingestellt. Durch die vielen zugezogenen Menschen aus dem Osten waren Wohnräume knapp. Lebensmittel waren ebenfalls eine Mangelware, wodurch der Schwarzmarkt blühte.
Diese Zeit war mit Sicherheit nicht einfach für alle Beteiligten. Wo wir heute eine wohlhabende Gesellschaft sind und keinen Mangel an Existenziellem wie Lebensmitteln haben, ist es wesentlich einfacher, konkret mit einer Herausforderung umzugehen.
Man muss an dieser Stelle fairerweise erwähnen, dass die Geflüchteten deutscher Herkunft waren und wenig bis keine Sprachbarrieren bestanden. Kulturell waren sie alteingesessenen Oldenburger*innen also deutlich näher als die Geflüchteten der letzten Jahrzehnte. Dennoch gab es keine große Hilfsbereitschaft den Geflüchteten gegenüber. Eine Art Diskriminierung und Kämpfe um begrenzte Ressourcen wie Wohnraum und Arbeitsplätze innerhalb des eigenen Volkes spielte eine große Rolle, viele lehnten „die aus dem Osten“ ab. Und angesichts der eigenen wirtschaftlich schwierigen Situation konnten und wollten viele Bürger*innen auch nicht helfen.
Eine Mitteilung des damaligen Oberbürgermeisters Max tom Diek (FDP) aus dem Mai 1949 an die britische Besatzungsverwaltung liefert hierfür ein eindeutiges Stimmungsbild: „Die augenblickliche knappe Zuteilung an Lebensmitteln beherrscht die Stimmung. In diesem Zusammenhang wird in Gesprächen mit der Bevölkerung immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß es einfach nicht zu verstehen ist, daß aus den Überschussgebieten des Ostens Millionen Menschen in die britische Zone evakuiert werden, die dadurch die Not noch vergrößern.“
Und auch noch Jahre später waren Vorurteile und Diskriminierung von Ostgeflüchteten ein Bestandteil des alltäglichen Lebens. Es gab viele Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre: Zerstörung, Hunger, Unsicherheit und die Notwendigkeit mit den begangenen Verbrechen im Krieg umzugehen und sich, hier in Oldenburg, mit den britischen Besatzungstruppen auseinanderzusetzen, denen keineswegs alle freundlich gesinnt waren, sind nur einige Aspekte. Die Einbindung der Menschen aus den ehemaligen Ostteilen des Reiches in die städtische Gesellschaft Oldenburgs verlief keineswegs einfach oder gar perfekt. Aber über den Verlauf einiger Jahre, mit der Verbesserung der Lebensbedingungen für alle, gelang es, die Geflüchteten in einem Umfang von rund einem Drittel der Stadtbevölkerung Oldenburgs zu integrieren. Es dürfte sich dabei um die größte gesamtgesellschaftliche Leistung der Stadt in den vergangenen hundert Jahren handeln.
Diese großartige Leistung sollten wir als heutige Gesellschaft nicht vergessen. Auch wenn es anfangs Diskriminierung und Ungerechtigkeit und große wirtschaftliche Not gab, innerhalb weniger Jahrzehnte sah beinahe niemand mehr einen Unterschied darin, ob man erst nach dem Krieg nach Westdeutschland gekommen war.
Also: auch neuere Flüchtlingswellen sind Herausforderungen, und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe damit umzugehen, die nicht heruntergespielt werden sollte.
Aber wir sollten als Gesellschaft nicht vergessen wozu wir fähig sind, wenn wir es nur wollen. Deshalb ist es meines Erachtens angebracht, auftretenden Problemen mit mehr Optimismus zu begegnen.
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