Von Johanna Tapper - Die repräsentative Politik mit ihren Politikern aus dem akademischen Milieu hat ihre Vorteile. Doch auch das beste System gerät an seine Grenzen, findet Johanna. Ein Projekt aus Irland sei vorbildlich.
Was die Demokratie braucht, sind selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger“, formulierte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache im Jahr 2019. „Sprechen Sie auch mal mit Menschen, die anderer Meinung sind!“, lautete sein Appell aus dem vergangenen Jahr. Zwei Sätze, die meiner Meinung nach präzise benennen, woran es unserer Demokratie fehlt.
Unsere repräsentative Politik mit ihren Politikern aus dem akademischen Milieu hat ihre Vorteile. Doch auch das beste System gerät an seine Grenzen: Es fehlt an Vertrauen, Transparenz, Innovationen und Möglichkeiten für direktere Bürgerentscheide. Der Raum für Gespräche, in denen wir mit komplett anderen Meinungen konfrontiert werden und in denen wir als Bürger selbstbewusst Einfluss auf die Politik nehmen können, ergibt sich in unserem System nicht oft.
Manchmal ergibt sich diese Chance aber eben doch: Für das „Citizens Assembly“ wurden 2016 in Irland 66 geloste Bürger beauftragt, mehrere Artikel der irischen Verfassung auf ihre Aktualität zu prüfen. Dieses Experiment schien auf gelungene Weise die Systemlücken der kaputten Demokratie zu schließen. Die heterogene Masse war reich an unterschiedlichsten Lebenserfahrungen, weder einer Partei verpflichtet noch von Beliebtheitswerten abhängig.
Menschen, die vorher nichts mit Politik am Hut hatten, fühlten sich ernst genommen. Vorurteile wurden abgebaut und Milieugrenzen verwischt.
Die gelosten Teilnehmer waren überraschend bereit, gegenseitig Meinungen auszutauschen und selbstständig Experten einzuladen, um sich Zusammenhänge näher erläutern zu lassen, da sie bei komplexen gesellschaftlichen Themen an ihrer eigenen Sachkenntnis zweifelten. Sie sahen sich nicht als große Weltakteure, sie wollten nur ehrlich motiviert ihre Verantwortung als Bürger der Demokratie wahrnehmen. Nur indem wir allen Bürgern diese politische Verantwortung zugestehen, erfüllen wir das Menschenbild, das wir unserem Staat zum Grundstein legen.
Wegen des großen Erfolges geloster Parlamente überrascht es mich, dass lange niemand den Mut hatte, ein ähnliches Projekt in Deutschland in die Wege zu leiten. Inzwischen gibt es die Initiative Bürgerrat Demokratie, für die in mehreren deutschen Städten im Herbst je 160 Bürger repräsentativ für die Bevölkerung zu vier Tagen politischer Arbeit eingeladen wurden. Ähnlich wie in Irland waren Teilnehmer wie Initiatoren positiv über den Verlauf überrascht.
Bitte mehr von solchen Projekten, mehr politische Aufmerksamkeit für ihre Ergebnisse und vor allem bitte mehr Berichterstattung über den Erfolg eines Demokratieheilmittels von morgen.
(Quelle: https://www.nwzonline.de/freitag-fuer-meinung/freitag-fuer-meinung-politik-aus-dem-lostopf-wie-buerger-die-demokratie-besser-machen_a_50,7,316014342.html)
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