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"Lützi bleibt" - Was hat der Protest gebracht?

Von Mathilda Benner - Anfang des Jahres gab es viele Berichte um den klimaaktivistischen Widerstand "Lützerath bleibt!". Das Dorf wurde trotzdem geräumt. Worum ging es und was hat das alles gebracht? LFZ-Redakteurin Sophie war dabei und berichtet über Ihre Eindrücke.

“Lützi bleibt” “Lützi bleibt”, so lautet der Schlagruf der KlimaktivistInnen vor Ort, im Internet und ganz Deutschland. Schon vor nahezu drei Jahren, im Jahr 2020, haben die Rodungs- und Abrissarbeiten um und in Lützerath begonnen. Doch gerade in den letzten Wochen ist die Debatte um das kleine Siedlungsdorf, das Lützerath mit 43.000 Einwohner einmal war, weiter entbrannt. In dem Konflikt steht RWE, der große Energiekonzern aus Essen, auf der einen und Klima- und Umweltschützer u.a. von „Fridays for Future“, „Die letzte Generation“ und „Extinction Rebellion“ auf der anderen Seite.


Der Konflikt

Wer meint, er habe das alles schon einmal gehört, liegt gar nicht so falsch. Der RWE- Konzern und Klimaaktivisten standen sich schon einmal in einem derartigen Konflikt gegenüber: bei der Rodung des Hambacher Forsts 2018. Dieser liegt nicht weit entfernt von der Siedlung Lützerath und sollte vor einigen Jahren ebenfalls dem Braunkohleabbau weichen. Auch in diesem Fall blieb vor allem das radikale Engagement der Klimaaktivisten im Gedächtnis. Damals lautete die Parole „Hambi bleibt!“. Dieser Einsatz war für die Aktivisten insofern erfolgreich, dass über das Oberverwaltungsgerichts Münster ein vorläufiger Rodungsstop im Gebiet des Forstes veranlasst wurde. Lützerath erinnert auf mehrere Weisen an den Konflikt vor fünf Jahren. Auch die geplante Rodung des Hambacher Forsts durch RWE löste massenhaft Proteste im Land aus. Nachdem die ursprünglichen Bewohner Lützerath bereits 2006 verlassen hatten, besetzten nach und nach Klimaaktivisten die verlassen Häuser und richteten sich auch in Baumhäusern, Wohnwagen und Zelten vor Ort ein. Dies, obwohl der Kreis Heinsberg den Aufenthalt in Lützerath untersagt hat.


Hinzu kommt, dass alle Gebäude und Grundstücke in diesem Umfeld der RWE gehören und der Konzern in seinem Vorhaben die Unterstützung der nordrhein-westfälischen Landesregierung aus CDU und Grünen hat. Daher räumten jeden Tag etwa Tausend Polizeibeamte das Gebiet, wobei es häufiger zu Gewaltausbrüchen kam. Von welcher Seite diese primär ausgehen, ist schwierig zu beurteilen. Laut Dirk Weinspach, dem zuständigen Polizeipräsidenten aus Aachen, handelte es sich bei den Aktivisten in Lützerath um eine sehr gemischte Szene, diese Aussage trifft auch die Aktivistin Ronni Zepplin, die bereits seit zwei Jahren in Lützerath lebt. Der Aachener Polizeipräsident sagt weiter aus, dass die Gruppe überwiegend bürgerlich und friedlich orientiert, der Ton gegenüber der Polizei aber auch teilweise aggressiv gewesen sei.


Rechtfertigung der RWE

Unter dem Dorf Lützerath, das an den Tagebau Garzweiler grenzt, sollen rund 110 Millionen Tonnen Braunkohle liegen. RWE gibt an, dass der Abbau dieser Kohle nötig sei, um die Versorgungssicherheit Deutschlands zu garantieren, vor allem in Anbetracht der Energiekrise, die durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und die anschließenden Sanktionen verschäft wurde. Durch den Kohleabbau der RWE würde Erdgas aus der Stromerzeugung verdrängt und eine Alternative geschaffen. Diese Ansicht teilt auch die Regierung. RWE schließt in offiziellen Pressemitteilungen aus, Lützerath vom Bergbau auszusparen. Anders als bei den Dörfern Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath würde die Aussparung von Lützerath keine bergtechnisch machbare Tagebauentwicklung zulassen.


Darüber hinaus würde ohne die Kohle unter Lützerath die jährliche Kohlemenge erheblich zurückgehen. Seit dem 19. Jahrhundert wurden in dem Rheinischen Braunkohlerevier in der Kölner Bucht, zu dem auch der Tagebau Garzweiler zählt, insgesamt eine Fläche von 338 km2 abgebaggert. 239 km2 davon sind wieder nutzbar gemacht worden, vorwiegend als Ackerflächen, aber auch als Forst- und Wasserflächen. 97km2 sind aktuell noch als offener Tagebau und Deponie in Betrieb. Bis 2025 soll nach dem Braunkohleplan noch 19km2 zusätzlich abgebaggert werden. Diese großen Zahlen sind für die meisten Menschen schwer in der realen Umgebung vorzustellen. Die wirkliche Dimension, die der Tagebau in dem Gebiet im Südwesten Nordrhein-Westfalens einnimmt, lässt sich am besten anhand der Bilder verstehen.


Die Position der Regierung

Obwohl Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck selbst eingesteht: „Das war nicht mein persönlicher Plan und nicht der Koalitionsplan, Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu bringen.“, bleibt die Regierung bis zum aktuellen Zeitpunkt bei der Verteidigung des Abbauvorhabens. Offiziell heißt es, es gebe einen „erhöhten Braunkohlebedarf, der zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit benötigt wird“. Deutschland hat sich per Gesetz zu einem Kohleausstieg bis 2038 verpflichtet, RWE hat bereits einem Ausstieg bis 2030 zugestimmt. Diese Vorhaben lassen sich für viele nur schwer mit der aktuellen Situation um Lützerath vereinbaren.


Argumentation der Klimaaktivisten

Aus der Perspektive vieler Klimaaktivisten ist die Entscheidung Habecks, dem Kohleabbau zuzusagen, fatal. Die Rechtfertigungen der RWE und Regierung, es handle sich dabei um eine Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit Deutschlands wird nicht anerkannt. Kritiker des Kohleabbaus berufen sich dabei auf eine Studie von der „CoalExit Research Group“, nach welcher die Kohle unter Lützerath nicht für die Versorgungssicherheit Deutschlands benötigt werde. Die laut RWE unabhängigen Gutachten, die im Auftrag der Landesregierung durchgeführt wurden, kommen zu anderen Ergebnissen. In jedem Fall würde der Tagebau der Kohle unter Lützerath enorme Mengen an CO2 - Emissionen verursachen. Darin sehen die Klimaaktivisten einen Verstoß gegen die 1,5°C- Grenze und eine klare Positionierung der Deutschen Regierung gegen das Pariser Klimaabkommen, welches am 12. Dezember 2015 beschlossen wurde.


Die deutsche Klimaaktivisten Luisa Neubauer, die selbst Mitglied bei den Grünen ist, wirft der Partei eine „kalkulierte Unterwanderung der Pariser Klimaziele vor“. Die Umwelt- und Klimaschützer wollen den Abriss des Dorfes verhindern und fordern ein Räumungsmoratorium. Sie haben das Aktionsbündnis „Lützerath unräumbar“ geschlossen. Eine weitere Initiative hat sich unter dem Namen „Alle Dörfer bleiben!“ gebildet, diese fordert den Stopp aller Zwangsumsiedlungen, Abrissarbeiten, Rodungen sowie Flächen- und Naturzerstörungen in den Braunkohlerevieren. Auch der Klimaforscher am Potsdam-Institut schließt sich der Gruppe von Aktivisten an, die Räumung von Lützerath zu beenden und gibt vor allem den massiven Polizeieinsatz gegen die Klimaaktivisten zu bedenken.


Gespräch mit Sophie

Sophie aus dem 10. Jahrgang der Liebfrauenschule Oldenburg war in den letzten Monaten bereits zweimal vor Ort in Lützerath, das erste Mal vor Ende des letzten Jahres und das zweite bei der Großdemonstration am 14. Januar. Im Folgenden gebe ich ein paar ihrer Einblicke wieder, über die wir in einem kurzen Interview miteinander gesprochen haben. Sophie ist ebenfalls Redakteurin bei der LFZ und hat im Dezember 2022 einen Artikel zum Thema „Ziviler Ungehorsam“ veröffentlicht.


Zuerst habe ich Sophie gefragt unter welchen Umständen sie nach Lützerath gefahren ist und warum. Sie schildert, dass sie Teil der Organisation „Animal Rebellion“ in Oldenburg ist und sowohl mit dieser Gruppe als auch über eine privat organisierte Busfahrt nach Lützerath gekommen ist. Lützerath zu erreichen, war nicht unbedingt leicht, da die Straße zu Lützerath der RWE gehört und vom Konzern gesperrt ist, um den Aufenthalt der Aktivisten im Dorf zu verhindern. Sophies erster Eindruck war vor allem von zwei Gefühlen bestimmt: Einerseits Schock über die unfassbar große Kluft und Verwüstung, die der Tagebau hinterlassen hat und andererseits ein offener Empfang in der Gemeinschaft der Aktivisten. Sie erzählte mir auch, dass es auch ein sehr schönes Erlebnis war, die Hilfsbereitschaft zwischen den Menschen vor Ort zu erfahren und dass keine Art von hierarchischer Struktur zu merken gewesen sei.


Neben der Medienpräsenz, die Sophie als etwas Positives wahrnimmt, weil sie für eine Beachtung des Themas im ganzen Land und weltweit sorgt, beeinflusst die Anwesenheit der Polizei die Stimmung vor Ort vorwiegend auf negative Weise. Häufig kommt es zu Eskalationen bei Protesten, bei denen vor allem Klimaaktivisten Verletzungen davontragen, denn die Polizeibeamten sind mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern ausgestattet. Sophie hat auf meine Nachfrage hin erzählt, dass sie selbst Gewalt vollständig ablehnt, Formen des zivilen Ungehorsams wie bspw. auch Fridays for Future hingegen aus ihrer Sicht einen großen Einfluss auf die Politik haben können. Nach ihrer eigenen Erfahrung in Lützertah, gehe die gewalttätigen Übergriffe vor allem von der Polizei und nicht den Aktivisten aus. Sophie engagiert sich regelmäßig in ihrer Freizeit für den Tier- und Klimaschutz, da sie es auch als ihre Verantwortung und die des globalen Nordens hält, gegen Klimaungerechtigkeit zu kämpfen.


Wenn ihr mehr erfahren wollt, klickt hier.



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