Von Nico Knoppik - Angesichts des "Lockdowns" in Deutschland sehen einige bereits eine Gefahr für Freiheitsrechte und Demokratie heraufziehen. Was ein wirklich autokratisches Regime in Kombination mit religiöser Verblendung anrichten kann, zeigt sich gerade im Iran.
Das Bild des Nörglers ist fest mit dem Deutschsein verankert. Und ja wir meckern wohl gern und oft. Fast ein Wunder ist es also, dass nach ARD-„Deutschlandtrend“ fast drei Viertel der Deutschen zufrieden mit dem derzeitigen Krisenmanagement der Bundesregierung sind. Diese Akzeptanz spiegelt sich auch bei den Zustimmungswerten der Regierungsparteien wieder.
Nicht nur Kanzlerin Merkel selbst, auch die Union ist so beliebt wie lange nicht mehr. Ein Hoffnungsschimmer für die selbsternannte „Partei der Mitte“, deren Umfrageergebnisse letztes Jahr im freien Fall schienen. Aber auch ganz andere Stimmen werden nun laut. In seinem Gastbeitrag für den „Spiegel“ spricht René Schlott angesichts der tiefen Einschnitte in das soziale Leben aller sogar von einem „Rendezvous mit dem Polizeistaat“. Weder demokratisch noch verhältnismäßig seien demnach die erlassenen Vorschriften. Schnell kommen Vergleiche mit den autokratischen Regimen unserer Zeit auf.
Ein Blick in die Theokratie des Irans zeigt aber: ein so striktes Vorgehen im Umgang mit dem Coronavirus wie in China ist keineswegs selbstverständlich in Ländern, in denen der Rechtsstaat nichts wert ist. Man kriegt viel mehr das Gefühl im Iran herrsche Ratlosigkeit. Das Land ist Krisen im Normalfall gewohnt. So steckt es seit der Islamischen Revolution 1979, also dem Zeitpunkt als die Monarchie abgeschafft und ein „Gottesstaat“ errichtet wurde, praktisch ohne Pause in krisenhaften Situation. Wirtschaftlich als auch politisch. Dramatisch verschlimmert hat sich die Lage im Iran dann zusätzlich durch die zumindest dem Anschein nach ad infinitum andauernden US-Sanktionen gegen das Land.
Eine Pandemie wie die Coronaseuche bricht somit in dieses Land zu einem gänzlich schwierigen Zeitpunkt herein. Obwohl schon früh Corona-Erkrankungen bei Iranern nachgewiesen wurden, zögerte die Regierungselite mit Maßnahmen, die dem Virus den Kampf ansagen. Heiliger Boden und grassierende Seuche passen nun mal nicht zueinander. Pilgerstätten von enormer Bedeutung für die Schiiten, wie die Grabmoschee in Ghom zu schließen, kam weder für Präsident Hassan Rohani und erst recht nicht für den „Obersten Führer“ Ajatollah Ali Chamenei, der gleichzeitig politisches, als auch religiöses Oberhaupt ist, in Frage. Und das obwohl diese Stätten als Corona-Epizentrum gehandelt wurden. Ein persisches Ischgl quasi.
Erst nach Wochen der Leugnung und des Schweigens wurden dann auch diese religiösen Zentren geschlossen, die gemeinsamen Gebete in den Moscheen abgesagt. Als Reaktion darauf stürmen Gläubige die Stätten gewalttätig. Verständlich, wenn man bedenkt, was die iranische Regierung nach dem Aussäen von religiösem Extremismus zu ernten vermag. Die aktive Einschränkung der Glaubensausübung ist nicht nur einmalig in der iranischen Geschichte, sondern widerspricht sogar fundamental dem religiösen Machtanspruch der Ajatollah. Die Macht im Iran soll nämlich nicht vom Volk, sondern von Allah selber ausgehen. Die Krise verdeutlicht allerdings auch, was schon lange offenkundig ist.
Während vor allem die Jugend im Iran mit der Zeit gehen will, bleibt das Regime stur
Das Vertrauen großer Teile des Volks in das Regime ist unwiderruflich zerstört. Während die Majorität der Iraner, allen voran die Jugend, mit der Zeit geht und auf eine Säkularisierung des Irans hofft, bleibt das Regime stur und beharrt auf seine längst überholten Dogmen, allen aufkeimenden Protesten zu Trotz. Der Iran hat nicht den Anspruch, seinen Bürgern zu gefallen – nein, alles was er tut, hat den Anspruch der vermeintlich islamischen Lehre zu entsprechen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Rationalität werden hintangestellt. Propagandistisch wurde das Coronavirus sogar als Biowaffe der Amerikaner gegen ihre Gegner (zu denen China und der Iran gehören) aufgebauscht, die eigenen Infektionszahlen zunächst geheim, später lächerlich klein gehalten.
Doch das System hat massiv an Autorität und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Wenige Iraner glauben noch den von der Führung mitgeteilten Informationen. Sie beginnen nicht nur die Religionsausübung, sondern auch den Glauben selber zu hinterfragen und nagen damit am Stützpfeiler des Systems. Auf Dauer kann der Iran als solcher nur überleben, all dem äußeren Druck standhalten, solange der religiöse Fanatismus weiter glimmt. Dass die Coronakrise für das politische System der Theokratie Folgen haben wird, ist unvermeidlich. Ob es sich aber am Leben halten kann, steht noch in den Sternen. Die Ajatollah haben ihr Grab selbst gegraben, das Coronavirus wirft sie womöglich hinein.
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