Von Julian Knoppik - Europa war der Kontinent, von dem aus die Elektrifizierung und Technisierung der Welt ihren Ausgang nahm. Europa muss nun der Kontinent sein, auf dem die Klimawende ihren Anfang nimmt. Doch wie kann das gelingen in dieser Vielstimmigkeit?

„[…] Finsternis lag über der Urflut […] Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis […]‘‘ (Gen 1)
Wie der Aufbruch in eine neue Zeit muss es sich wohl angefühlt haben, als Thomas Edison 1880 mit der Erfindung der Glühlampe als Erster die Nutzung von Energie in Form von elektrischem Strom ermöglichte. Der Menschheit standen plötzlich alle Türen offen. Wissenschaftler rund um den Globus sahen sich berufen, eine neue Welt zu schaffen. Und sie taten es in gewisser Weise auch. Erfindungen wie das Telefon oder das Internet machten zuvor Unvorstellbares möglich und erleichterten das Leben immens.
Klimawandel zum Anfassen. Nicht mehr lang und der Glühfaden erlischt. Und dann?
Doch an die Stelle der Euphorie und Ekstase früher Erfinderpioniere gegenüber dem technischen Fortschritt tritt heute Angst und das Gefühl der Unsicherheit. Es scheint, als hätte sich der Mensch ins eigene Fleisch geschnitten mit dem unermüdlichen Drang, jeden Lebensbereich bis zum Schluss zu technisieren. Immer schneller hört man die Uhr ticken. Die Folgen der extremen Klimaschäden, die insbesondere durch die Energiegewinnung entstehen, sind nicht mehr nur am anderen Ende der Erde, sondern auch direkt vor der eigenen Haustür, besonders dramatisch 2021 im rheinlandpfälzischen Ahrweihler zu spüren.
Klimawandel zum Anfassen. Nicht mehr lang und der Glühfaden erlischt. Und dann? Dunkelheit. Das ist zumindest das Bild, das einige Regierungschefs auf der Klimakonferenz in Glasgow vermitteln. So sprechen sie davon, es sei „eine Minute vor Mitternacht“, wir hätten die Zeit verspielt. Höchste Zeit also zu handeln. Ganz vorne mitspielen im Klimaschutz will dabei die Europäische Union. Zumindest versucht sie, dieses Image zu vermitteln. Doch die Fassade des europäischen Weltverbesserers beginnt zu bröckeln. Während auf den Brüsseler Fluren noch verheißungsvolle Reden nachhallen, werden die Kritikerstimmen draußen immer lauter, vor allem nachdem die EU Gas- und Atomkraft als ,,grün‘‘ gelabelt hat. Der Spiegel betitelt es als: „Neujahrsgrüße mit klimapolitischem Sprengstoff‘‘ von der EU-Kommission an die Mitgliedstaaten kurz vor Mitternacht - mal so ganz "nebenbei".
Schaut förmlich danach aus, als ob jemand erwägt hätte, dass das Gejaule durch den Kater nach Silvester nicht ganz so laut ausfällt. Denn hier gelten Diskrepanzen: Ist es nur eine Zwischenlösung mit Übergangstechnologien oder die Lösung? Deutschland steht enorm unter Druck. Die Frage ist, wohin das Geld von Anlegern geht, angesichts der Energiewende. Energieexperten befürchten, dass mit der Neujahrsmail nötige Investitionen in Erneuerbare Energien verzögert werden, auch wenn es Einschränkungen in dem Entwurf gibt. Auch der renommierte Klimawissenschaftler Mojib Latif sagt, dass der Atomausstieg in Deutschland eben beschlossen sei und er außerdem nicht viel von Kernkraft halte - aufgrund des Atommülls, hoher Baukosten und der langen Bauzeit neuer AKWs. Robert Habeck verurteilt den Entscheid der EU als ,,Greenwashing‘‘. Vergessen werden darf jedoch nicht, dass auch Deutschland mit neuen Pipelines auf die Energiequelle Gas setzt, das eben auch als "klimafreundlich" eingestuft wird, weil es weniger CO2 emittiert als Kohle und als Backup für Wind und Sonne in der Energiewende dient. Perspektivisch möchte man aber auf grünen Wasserstoff als Ersatz für Erdgas setzen - gewonnen mit überschüssiger Wind- und Sonnenenergie. Ob die 900 Millionen Euro Förderung für grünen Wasserstoff durch den Bund ausreichen werden, wird sich zeigen. Unumgänglich stellen sich aber die Fragen, was es mit der EU-Nachhaltigkeitspolitik auf sich hat.
Anderes Beispiel: Wie auch die Mehrheit der westlichen Bürger, die immer wieder Bilder von in Plastikmüll versinkenden Robben oder Vögeln, die zwischen Plastiktüten vergeblich nach Nahrung suchen, sieht, erkennt auch die EU das Problem und antwortet mit einem Verbot von Einwegprodukten. Demnach muss der deutsche Grillfreund von nun an auf Plastikstrohhalme und –besteck verzichten und rettet dadurch die Weltmeere. So zumindest der heilbringend klingende Plan. Sicher ist allerdings, dass dieses Verbot vielmehr eine Symbolbedeutung hat. Jeder kann gut ohne Plastikstrohhalme leben, doch wirklich effizient ist es nicht. Wenn sogenannte "Ökospinner", wie sie nicht selten verspottend werden, annoncieren, dass Verzicht mittlerweile unumgänglich ist, dann haben sie in gewisser Weise Recht. Sicherlich falsch ist, dass ein Leben in Frugalität, wie es teils gefordert wird, wünschenswert ist. Doch wenn viele nur bereit sind auf Kleinigkeiten wie Strohhalme zu verzichten, dann ist das bei Weitem nicht genug.
„Die Menschheit verliert die Kontrolle über den Zustand der Erde“
Sind jedoch große Visionen wie ein Verkehrswandel (Oldenburg beispielsweise zu einer Fahrradstadt zu transformieren) überhaupt realisier- und finanzierbar und inwiefern ist sowas sinnvoll, wenn es auch im Klimawandel starke Dissonanzen und Divergenzen, sogar innerhalb der Europäischen Union, gibt? Leichtsinnig trennt sich Polen von einer gewaltigen Menge an Bäumen1 aus dem letzten europäischen Urwald Białowieża-Urwald. Harte Strafen gab es nicht, nachdem ein Urteil aus Luxemburg die Abholzung stoppen konnte. Die Trennung vom ,,schwarzen Gold‘‘ fällt unserem rechtspopulistischen Nachbarstaat hingegen deutlich schwerer. Kohle und Klimaschutz seien laut der PiS-Regierung ohne Probleme vereinbar. Ein enorm großer, hochpreisiger, aufwendiger Verkehrswandel in Oldenburg ist demnach alles andere als sinnvoll, wenn es schon innerhalb der EU Staaten gibt, die nicht aus freien Zwecken Nachhaltigkeit und Umweltschutz als wünschenswertes Ziel sehen und mit dem herrschenden ,,Cap and Trade‘‘ in der EU Emissionsrechte verkauft bekommen. Der deutsche Kohleausstieg beispielsweise hat damit wenig Wirkung.
Währenddessen warnt Professor Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Berater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel: „Die Menschheit verliert die Kontrolle über den Zustand der Erde“. Einige Studien besagen, dass das 2-Grad-Ziel nur mit der dreifachen Bemühung aller Staaten zu erreichen sei. Währenddessen sagen Gletscherforscher aber, dass das Eis heute wiederum auch dreimal so schnell schmilzt, wie sie es noch vor zehn Jahren befürchtet hatten. Das heißt: Der Meeresspiegel steigt in diesem Jahrhundert nicht nur um einige Zentimeter wie vorhergesagt, sondern im schlimmsten Fall um einige Meter. Damit würde nicht nur halb Bangladesch unbewohnbar, sondern auch Hamburg, Bremen und Oldenburg wären betroffen. Noch immer gibt es genug Personen, die diese Fakten als „Alarmismus“ abtun. Panik ist auch keine Lösung, doch wir sollten uns alle bewusst werden: Wir führen mit dem anthropogenen Klimawandel nicht (nur) einen Krieg gegen die Umwelt, sondern vielmehr gegen uns selbst. Klar wird die Welt in vielen Punkten wie dem Zugang zu Trinkwasser, Armut etc. besser, doch Klima-Kipp-Punkte werden immer wahrscheinlicher.
Bei einem internationalen Problem wie dem Klimawandel, sind internationale Lösungen nötig. Nur ein vereintes Europa, das gemeinsam handelt, kann ein Europa der Zukunft sein. Es muss ein gemeinschaftlicher Fokus auf erneuerbare Energien geschaffen werden, bei dem konventionelle Energieträger nur als ,,Backup‘‘ dienen. Die Ampel-Koalition plant dafür idealerweise schon 2030 den Kohleausstieg sowie einen Anteil erneuerbarer Energien von 80%. Es müssen weiterhin Investitionen angesichts der Speicherung und Effizienz gemacht werden. Ich sehe dementsprechend nicht nur eine Notwendigkeit eines Miteinanders der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch den Bedarf eines ausgefeilten Zusammenspiels der Energieträger, Mobilitäten usw. Doch die Zeit wird immer knapper und eine Energiewende kostet. Keine Energiewende aber kostet unsere Zukunft, so auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Nur mit enormer Anstrengung und dem echten Willen haben wir als Menschheit eine Chance. Was schmerzhaft klingt, sollte eigentlich hoffnungsvoll stimmen, denn, ja, wir haben noch eine Chance. Gott sei Dank.
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