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Die deutsche Sprache: Eine Hassliebe

Von Hanna Machura-Badge - „Yolo“, „Fernweh“ und „Straßenverkehrsordnung“: Die deutsche Sprache ist vielfältig, kreativ und bisweilen unförmig. Wie nehmen wir sie wahr? Wie wirkt sie auf andere? Über ein ambivalentes Verhältnis zu unserer Sprache.

Bild: Oliver Berg/dpa (Collage)


Die steigende digitale Vernetzung in den letzten Jahren hat nicht zuletzt dazu geführt, dass wir Zugang haben zu den unterschiedlichsten Sprachen und Dialekten. Und es ist nicht verwunderlich, dass besonders die digital aktive Jugend deutlich mehr in Kontakt mit den Weltsprachen steht, als noch Generationen zuvor. Wir haben Zugriff auf Informationen, Entertainment und kulturelle Güter aus der ganzen Welt. Das zieht uns auf die internationale Ebene, auch sprachlich.

Damit meine ich nicht nur die so häufig mokierten Anglizismen der Jugendsprache. Ich will auch nicht die Person sein, die aufgrund solcher mit hocherhobenem Zeigefinger dasteht und den Untergang der gewählten Ausdrucksweise prophezeit. Vielmehr sehe ich die Veränderung in der deutschen Sprache als einen Teil der Entwicklung an. Es hat immer schon Jugendsprache gegeben, ob es nun das 50er-Jahre-„dufte “ ist oder das „YOLO – You only live once“ aus den letzten Jahren, spielt eigentlich keine Rolle. Ästhetik steht auf einem ganz anderen Blatt und auch nicht im Fokus der Jugendsprache, genauso wenig wie früher.


Abgesehen davon, dass sich Sprache an sich verändert, verändert sich auch das Verhältnis zur eigenen Sprache. Wir stehen in engem Kontakt mit anderen Ländern und so auch mit deren Sprache. Und wie so häufig, wenn Kulturen aufeinandertreffen, neigen wir dazu zu vergleichen. Wir fragen uns: Wie klingt unsere Sprache für den Rest der Welt? Und nicht selten beginnt an dieser Stelle ein Minderwertigkeitskomplex der Deutschen. Obwohl eine Studie von 2009 zeigt, dass Deutschsprachige zu großen Teilen eine positive Grundhaltung gegenüber der Sprache haben und auch Dialekte gepflegt und geachtet werden, ist nicht klar, ob es den Jugendlichen genauso geht. Ich persönlich erlebe in meinem Umfeld eher das Gegenteil: „Es klingt einfach nicht schön“, „Deutsch ist so schrecklich hart und unmelodisch“. Diese Sätze haben viele mit Sicherheit schon einmal gehört, wenn nicht sogar selbst gedacht. Ich denke selbst zurück an ein Gespräch mit einer Austauschschülerin, „Warum deutsch?“, habe ich sie gefragt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie aus all den Sprachen, die man hätte lernen können, Deutsch gewählt hatte.


Die deutsche Sprache stellt, nicht nur was Grammatik betrifft, eine Herausforderung für den Zuhörer dar. Mark Twain widmet diesem Thema in seinem satirischen Werk „Die schreckliche deutsche Sprache“ (original: The Awful German Language) ganze 81 Seiten. Darin beschreibt er das Deutsche als „systemlos“ und „unordentlich“. Aber auch der Klang der Sprache kann etwas Eigentümliches, Unförmiges an sich haben. Die Kehl- und Knacklaute sowie die doppelten Konsonanten verleihen der Sprache Härte und manchmal auch eine Spur Aggressivität. Zudem ist sie aber unheimlich präzise. Durch die unerschöpflichen Wortkombinationen und -aneinanderreihungen des Deutschen lässt sich beinahe alles ausdrücken.


Also ist Deutsch einfach keine Poetensprache? Ein Blick zurück in die Vergangenheit sollte einen eines Besseren belehren. Gerade literarisch und philosophisch kann die Sprache mit einer reichen Geschichte aufwarten. Man denke zurück an die großen Schriftsteller ihrer Zeit. Und obwohl Wörter wie „Straßenverkehrsordnung“ vielleicht zum Schmunzeln anregen und es mit Sicherheit auch schönere Bezeichnungen für „Schmetterling“, „Flugzeug“ und „Suppentopf“ gäbe, ist es nicht ganz richtig, dem Deutschen jedwede Ästhetik abzuschreiben. Allein durch ihrem Klang, vermittelt das Deutsche den Eindruck von Klarheit und Präsenz. Das Wort „Nacht“ beispielsweise oder gar die in der Literatur so geschätzte „Nachtigall“: Das kehlige „ch“ erzeugt direkt eine gewisse Atmosphäre, es entsteht das Gefühl des Geheimnisvollen, etwas Melancholischem.

Das ist wohl das Besondere an der eigenen Muttersprache: Man ist vertraut mit ihren Klängen und einzelnen Konnotationen. Wenn man sich ein bisschen für Sprache interessiert, fallen einem bestimmte Eigenarten auf, wie beispielsweise das schöne Wort „Fernweh“, für das es in kaum einer Sprache eine passende Übersetzung gibt. Im Allgemeinen beschreibt es „die menschliche Sehnsucht, vertraute Verhältnisse zu verlassen und sich die weite Welt zu erschließen“ (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Fernweh) Gerade für Menschen, die sich als Weltbürger verstehen, dürfte dieser Ausdruck einige Emotionen heraufholen; und ästhetisch ist er allemal.


Betrachtet man all das, so muss man feststellen, dass sich eine Sprache nicht so einfach als „hässlich“ oder „hart und unmelodisch“ aburteilen lässt. Aber nicht nur Klang und Klangfarbe können sich auf das Verhältnis zu einer Sprache auswirken. Es kann durchaus einen Zusammenhang geben von der Entfernung von der Sprache und der Entfernung von dem deutschen Stereotyp. Seien wir ehrlich, es gibt charmantere Clichés als das des gefühlskalten, stets pünktlichen Deutschen. Ich bin wahrscheinlich nicht die einzige, die Schwierigkeiten hat, sich mit ihm zu identifizieren. Es liegt nahe, dass im Zuge der eigenen Differenzierung von einer solchen deutschen Schublade auch die Differenzierung von der deutschen Sprache erfolgen kann.


Dass solche Stereotypen nur selten zutreffend sind, ist wohl keine neue Erkenntnis. Und vielleicht ist es auch an der Zeit, die Möglichkeiten der sprachlichen Vernetzung als Chance anzusehen, ohne in die Versuchung zu verfallen, die eigene oder andere Sprachen zu bewerten und als schön oder hässlich, hart, unmelodisch zu definieren. Fakt ist doch: Jede Sprache hat ihre eigene Melodie, ihren eigenen Klang und ihre eigene faszinierende Geschichte.


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