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Über die Macht der Sprache

Von Franziska Hagen - Was Propagandareden zu gefährlich macht - ein historischer Rückblick von aktueller Relevanz.


Rund 8,7 Millionen Jugendliche waren zur Zeit des Nationalsozialismus in der Hitlerjugend.


Rund 8,7 Millionen Jugendliche, die ihrem Anführer Hitler blind gefolgt sind und seine Parolen geschrieben haben.


Rund 8,7 Millionen Jugendliche, die schon in ihrer Kindheit das Marschieren gelernt und täglich die deutsche Nationalhymne gesungen haben.


Doch wie konnte es dazu kommen, dass so viele Jugendliche auf Hitler, seine leeren Versprechungen und die NS-Ideologie hereingefallen sind? Die Antwort darauf liegt nicht zuletzt in der Macht von Hitlers Propagandareden und der von ihnen ausgehenden Gefahr.


Wie genau die Propaganda in seinen Reden funktioniert und wieso sie bei den deutschen Jugendlichen auf fruchtbaren Boden gefallen ist, werde ich im Folgenden exemplarisch an einigen Auszügen von Hitlers Rede „Deutsche Jugend“ von 1935 erläutern. Adolf Hitler hielt am 14.9.1935 anlässlich des „Reichsparteitag der Freiheit“ auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg eine politische Rede an die Hitlerjugend, welche auch gleichzeitig im Radio übertragen wurde. Sie thematisiert Hitlers Erwartungen an und seine Vorstellungen von der deutschen Jugend sowie die NS-Ideologie. Hitler will mit seiner Rede die Jugend über ihre bedeutende Rolle in der deutschen Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus "aufklären" und ihnen vorschreiben, nach welchen Werten sie zu leben haben.


Zu Beginn der Rede erinnert Hitler an seine vergangenen Ansprachen an die Hitlerjugend in den letzten Jahren. Er lobt die Entwicklung, die diese durchgemacht hat, sowie ihr großes Wachstum. Darauf folgt eine recht genaue Beschreibung des „idealen“ deutschen Jungen laut der „Rassenlehre“ der NS-Ideologie. Im Zuge dessen spricht er sich auch gegen die von ihm befürchteten „Degenerationserscheinungen“ durch Menschen, die nicht der NS-Ideologie entsprechen, aus. Darauf folgt ein langer Appell an die von einem Deutschen erwartete Lebenseinstellung und Weltanschauung: alles für das Allgemeinwohl zu tun und seinen Teil zur „Volksgemeinschaft“ beizutragen.


Ein existenzieller Bestandteil solch einer intakten Gesellschaft sei, laut Hitler, das Befolgen und Erteilen von Befehlen. Er ist der Meinung, dass diese Weltanschauung die NS-Diktatur von anderen Staatsformen, etwa der Demokratie, unterscheide. Am Ende der Rede geht Hitler noch auf das Verhältnis von Deutschland zu den anderen Ländern ein und betont, dass er sich trotz der Überlegenheit Deutschlands Frieden auf der Welt wünsche und dass er Deutschland zudem in einer Vorbildfunktion für die anderen Länder sehe. Hitler schließt seine Rede mit einem Appell an die deutsche Jugend, die Verantwortung für die Verwirklichung der NS-Ideologie mitzutragen.


Insgesamt zielt Hitlers Rede darauf ab, den Jugendlichen deutlich zu machen, welche gewichtige Bedeutung sie für die Gesellschaft und für die Verbreitung der Ideologie haben. Dieses Ziel unterstreicht der Reichskanzler mit verschiedenen sprachlichen und rhetorischen Mitteln. Schon im ersten Abschnitt seiner Rede nimmt Hitler die Jugend geschickt für sich ein. Denn er beginnt seine Ansprache mit einem überschwänglichen Lob an die Hitlerjugend. Er ist begeistert von ihrer positiven Entwicklung und ihrem großen Wachstum in den letzten Jahren, da sie sich „nicht nur zahlenmäßig […], [sondern auch] wertmäßig“1 vergrößert hätten.


Daraufhin präsentiert er den Jugendlichen die nationalsozialistische Vorstellung des idealen deutschen Jugendlichen. Der deutsche Junge solle in Hitlers Augen „schlank und rank“, „flink wie Windhunde“, „zäh wie Leder“ und „hart wie Kruppstahl“ sein. Durch diese konkreten Vergleiche präsentiert Hitler seinen Zuhörern ein sehr genaues Bild seiner Vorstellungen. Das führt zur besseren Veranschaulichung und bleibt somit auch besser im Gedächtnis. Im nächsten Abschnitt erklärt Hitler, welches Ziel die Erziehung in Deutschland habe und welche Werte vermittelt werden sollten: die „Pflicht“ von jedermann sei es, „seinem Volke zu dienen“. Deshalb erwarte er von den Deutschen sich „körperlich zu stählen und [sich] geistig […] zu festigen“. Um seinen Befehl zu visualisieren, benutzt Hitler neben diesen Metaphern auch die Personifikation „dass jeder Sturm uns stark findet“, was die erwartete Stärke der Deutschen noch einmal unterstreicht.


Des Weiteren seien die wesentlichen Bestandteile eines gut funktionierenden und geregelten Staates „ein Wille“, „ein Befehl“ und „Gehorsam“. Die deutsche Gesellschaft sei in einer Hierarchie angeordnet, die regelt, wer wem was befehlen darf und wer zu gehorchen hat. Passend dazu fällt auf, dass er Deutschland in seiner Rede als militärischen, geordneten und disziplinierten Staat darstellt. Das wird dadurch deutlich, dass er viele militärisch geprägte Begriffe verwendet. Beispiele dafür sind „alte Kämpfer“, „verpflichtet“ sein, dem „Volk zu dienen“, „für den Dienst zu rüsten“ und die Nomina „Gefolgschaft“ und „Kameraden“. Die Verwendung solcher Begriffe führt zu einer Dramatisierung. Die deutsche Bevölkerung sei wie ein großes Heer, in dem jeder seinen Platz habe.


Die Demokratie als "Hühnerstall"

Hitler versucht mit seiner Rede ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, wie es in einer echten Armee der Fall ist. Dies tut er durch Wörter wie das Personalpronomen „wir“ oder durch das Possesivpronomen „unser“. Es festigt das Bild der starken „Volksgemeinschaft“, in der alle zusammenhalten. Darauf folgt ein Vergleich zwischen Deutschland als „autoritäre[m] Staat“, in dem man „von klein auf lernt, diszipliniert zu sein“ und einer „schwachen, schwätzenden Demokratie“, in der laut Hitler jeder wie in einem „Hühnerstall“ „durcheinanderläuft […], gackert und kräht“. Dieser Vergleich stellt eine Verunglimpfung der Demokratie dar, womit sich der Redner über diese lustig macht und sie damit abwertet.


Zudem nimmt er eine Polarisierung vor und erzeugt ein „Wir-gegen-die-anderen-Gefühl“. Auf der einen Seite steht das starke Deutschland und auf der anderen Seite die Menschen, die nicht der NS-Ideologie und der „arischen Rasse“ entsprechen. Dies sind sowohl Menschen, die in Demokratien leben also auch Juden, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und viele weitere Bevölkerungsgruppe. Während er eben diese Menschen abwertet, stellt er die deutsche Jugend in seiner gesamten Rede als großen Erfolg und als „lebendige Zeugen für das Gelingen dieses Werkes“ dar. Damit schmeichelt Hitler den Jugendlichen abermals.


Außerdem sagt er ihnen eine glorreiche Zukunft voraus, was zwar ein falsches Versprechen ist, aber dennoch dazu führt, dass diese sich immer mehr zu seinen Vorstellungen und seinem Weltbild hingezogen fühlen. Er beendet seine Rede mit dem Satz: „Ihr seid die Zukunft der Nation, die Zukunft des Deutsch Reiches!“ Damit gibt er ihnen Verantwortung gegenüber Deutschland, spricht ihnen große Bedeutung zu und stellt sie auf eine Stufe mit den Erwachsenen.


Abschließend lässt sich sagen, dass diese Hitler-Rede ein sehr passendes Beispiel für die Gefahr von Propagandareden ist. Aus heutiger Sicht ist sehr schnell festzustellen, dass die Rede die Jugendlichen manipuliert. In der Rede lassen sich weder logische Argumente oder Gegenargumente finden noch informiert Hitler mit Fakten oder Daten. Stattdessen besteht der Text nur aus menschenverachtenden, egoistischen und antidemokratischen Inhalten, die der NS-Ideologie entsprechen.


Emotion und Pathos statt Argumente und Fakten

Seine Rede hat dennoch eine sehr überzeugende Wirkung auf die Hitlerjugend, da er durchgehend auf die Strategie Pathos setzt und somit auf die Erregung von Emotionen bei dem Publikum. Er verwendet abwechselnd Lob, Ansporn und die Diffamierung seiner Gegner und der Demokratie. Damit erzeugt er gekonnt ein Gemeinschaftsgefühl. Zudem lässt sich aus seiner Rede sein ausgeprägter Nationalstolz und Größenwahn herauslesen, was seine Zuhörer dennoch nicht davon abhält, ihm zu glauben.


Doch warum war ausgerechnet die deutsche Jugend so anfällig für seine Propagandareden? Meine Hypothese ist, dass Hitler die Desorientierung, unter der die deutsche Jugend in der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933) litt, ausgenutzt hat. Diese Zeit war nämlich geprägt von politischer Instabilität, sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit und kulturellen Umbrüchen, was besonders der Jugend schwer zu schaffen machte. Viele sehnten sich nach den klar geregelten Verhältnissen des ehemaligen deutschen Reiches und suchten ihren Platz in der Gesellschaft. Hitler nutzte diese Unsicherheiten aus und spielte mit ihren Ängsten, Hoffnungen und Wünschen. Das nationalsozialistische Konzept der Volksgemeinschaft, in der scheinbar jeder willkommen und gleichgeschaltet ist, scheint in der Rede die Lösung zu sein, nach der sie sich gesehnt haben. Er weist ihn einen Platz zu und stellt sie als die glorreiche Zukunft von Deutschland dar, weshalb sie ihn als ihren mächtigen Führer anerkennen und verehren.


Kritisch sein, nicht mit dem Strom schwimmen!

Ich bin der Meinung, dass einem besonders in der heutigen Zeit, in der viele Parteien mit populistischen und vereinfachten Botschaften als Lösung für komplexe Themen werben, solch eine Rede eine Warnung für die große Gefahr von Propaganda sein sollte. Wir sollten die Dinge, die uns gesagt werden, kritisch hinterfragen und nicht einfach mit dem Strom schwimmen!

 
 
 

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